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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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erwiderte Pekkala. »Auf seinem Programm stand jeden Tag etwas körperliche Betätigung. Manchmal ging er reiten, manchmal schwimmen, oft aber auch nur im Park spazieren, ungeachtet der Witterung. Und er bestand darauf, dabei allein zu sein.«
    »Aber was war mit den anderen Attentätern? Waren sie nicht ebenfalls bewaffnet?«
    »Sie waren angewiesen, nur dann zu feuern, falls Grodek verfehlte. Sie würden den Zaren zu Boden fallen sehen, nachdem er von mehreren Schüssen – natürlich von Platzpatronen – getroffen wurde.
    Bis zu diesem Zeitpunkt zweifelte niemand an Grodeks Loyalität gegenüber der Ochrana. Schließlich hatte er die Namen sämtlicher Mitglieder weitergegeben, die er für seine Zelle rekrutiert hatte.
    Was aber keiner in der Ochrana wusste, war, dass Grodek die Platzpatronen gegen scharfe Munition ausgetauscht hatte.
    Am Abend des Attentats lief alles wie am Schnürchen. Die Terroristen konnten sich ungehindert dem Park nähern und ihre verabredeten Positionen einnehmen. Der Zar machte sich auf zu seinem Spaziergang. In der Zwischenzeit wurde das Versteck, in dem sich die Terroristen nach dem Attentat treffen wollten, von Dutzenden Ochrana-Agenten umstellt. Der Zar erreichte den schmalen Weg zwischen Zaun und Lamski-Teich. Die Sonne war untergegangen. Über den Teich wehte ein kühler Wind. Grodek trat aus dem Schatten. Der Zar blieb stehen. Er hatte raschelnde Zweige gehört. Grodek kam ans Tor und schob die Waffe zwischen die Gitterstäbe. Der Zar bewegte sich nicht. Er stand nur da, als verstünde er nicht, was hier geschah.«
    »Und er verfehlte?«, stammelte Kirow. »Grodek verfehlte aus einer Entfernung von drei Schritt?«
    Pekkala schüttelte den Kopf. »Grodek verfehlte nicht. Er leerte die Trommel. Alle sechs Schüsse trafen ihr Ziel.«
    Kirow sprang auf. »Wollen Sie mir sagen, er hat sechsmal auf den Zaren geschossen und ihn nicht getötet?«
    »Der Mann, den Grodek umgebracht hat, war nicht der Zar.«
    »Wer dann …?« Kirows Augen wurden schmal, als ihm die Wahrheit dämmerte. »Sie meinen, es war ein Doppelgänger? Grodek hat einen Doppelgänger erschossen?«
    »Zubatow hat viele Fehler gemacht, aber er wäre nie so weit gegangen und hätte das Leben des Zaren in Gefahr gebracht. Diesen Teil des Plans hatte Zubatow nie mit Grodek besprochen.«
    »Trotzdem, jemand hatte sterben müssen«, sagte Kirow.
    »Es muss meistens jemand sterben«, erwiderte Pekkala.

Pekkala und der Zar standen in der Dunkelheit auf dem Balkon des Palastes und sahen über den Park. Die Chinesische Brücke und der Parnassus waren zu erkennen. Im Gribok-Garten unmittelbar vor ihnen raschelte das Laub im nächtlichen Wind.
    Wie sie beide wussten, würde in diesem Moment der Doppelgänger des Zaren im Sommerpalast zwischen dem großen Teich und der Parkowaja-Straße entlangspazieren.
    Eine Weile lang sagte keiner etwas.
    Angespannt warteten beide auf die ersten Schüsse.
    »Können Sie sich vorstellen, wie es ist«, sagte der Zar, »dass ich nicht durch die Palasttore gehen kann, ohne Gefahr zu laufen, umgebracht zu werden? Ich herrsche über ein Land, in dessen Straßen ich mich nicht allein bewegen kann.« Er ließ die Hand hin und her schwenken und erinnerte Pekkala damit an einen Priester, der den Weihrauchkessel schwang. »Ist es das alles wert? Ist es überhaupt irgendetwas wert?«
    »Es wird bald vorbei sein, Exzellenz«, sagte Pekkala. »Morgen werden alle Terroristen verhaftet sein.«
    »Es geht hier nicht nur um ein paar Terroristen«, erwiderte der Zar. »Es ist der Krieg, der uns das alles eingebrockt hat. Ich muss an den Tag der Kriegserklärung denken, als ich auf dem Balkon des Winterpalasts stand und über die Menschenmenge blickte, die gekommen war, um mir ihre Unterstützung zu zeigen. Ich hatte das Gefühl, wir wären unbesiegbar. Der Gedanke an Kapitulation war mir nie in den Sinn gekommen. Eine Niederlage konnte ich mir einfach nicht vorstellen. Tannenberg. Die masurischen Seen. Diese Namen verfolgen mich seither ständig in Gedanken. Ich hätte auf Rasputin hören sollen.«
    »Was hat das mit ihm zu tun?« Pekkala hatte den sibirischen Mystiker kennengelernt, der mit seinen magischen Kräften angeblich die Hämophilie heilen konnte, unter der Alexej, der einzige Sohn des Zaren, litt. Nach Pekkalas Einschätzung war sich Rasputin sehr wohl seiner Grenzen bewusst. Nur verlangten der Zar und vor allem die Zarin von ihm weise Ratschläge, die zu geben er nicht in der Lage war. Er sollte

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