Roter Zar
Zar ist, werde auch ich sein.«
»Ich sollte bei dir bleiben.«
»Nein. Auf keinen Fall. Das ist jetzt viel zu gefährlich. Wenn sich alles wieder beruhigt hat, werde ich zu dir kommen und dich holen.«
»Aber was, wenn sich nichts mehr beruhigt?«
»Dann werde ich von hier weggehen. Ich werde dich finden. Bleib, wenn möglich, in Paris. Aber egal, wo du bist, ich werde dich finden. Dann fangen wir ein neues Leben an. So oder so, wir werden bald zusammen sein, das verspreche ich dir.«
Die Schreie derjenigen, die nicht mehr in den Zug kamen, waren zu einem lauten Kreischen angewachsen.
Ein zu hoch aufgeschichteter Gepäckstapel fiel plötzlich in sich zusammen. Passagiere in Pelzmänteln stoben auseinander, bevor sich die Menge wieder um sie schloss.
»Jetzt«, sagte Pekkala. »Bevor es zu spät ist.«
»Gut«, sagte sie schließlich. »Pass auf dich auf.«
»Mach dir um mich keine Sorgen«, sagte er. »Aber steig ein.«
Sie löste sich von ihm und ließ sich von der Menge mittragen.
Pekkala blieb zurück und sah ihr nach. Als sie fast am Waggon war, drehte sie sich noch einmal um und winkte ihm zu.
Er winkte zurück. Dann verlor er sie aus den Augen. Menschen strömten an ihm vorbei, getrieben von dem Gerücht, dass ein weiterer Zug im Finnischen Bahnhof auf der anderen Flussseite eingefahren sei.
Ehe er sich’s versah, wurde er auf die Straße hinausgespült.
Es gelang ihm, sich aus der Menge zu befreien, er rannte seitlich am Bahnhof entlang, und von einer Straße, die zum Newski-Prospekt führte, sah er dem abfahrenden Zug hinterher. Die Fenster waren geöffnet, Passagiere lehnten sich hinaus und winkten den Zurückgebliebenen auf dem Bahnsteig zu. Die Waggons fuhren vorbei. Und plötzlich waren die Gleise leer, und alles, was er hörte, war das rhythmische Schlagen der Räder, das in der Ferne verklang.
Es war der letzte Zug, der die Stadt verließ.
Am nächsten Tag steckten die Roten den Bahnhof in Brand.
W as wollen Sie mir erzählen, Katamidse?«
»Ich weiß, wo sie sind«, antwortete er. »Die Leichen der Romanows.«
»Ja«, erwiderte Pekkala. »Wir haben sie gefunden.« Noch sagte er nichts von Alexej.
»Haben Sie auch meine Kamera gefunden?«, fragte Katamidse.
»Ihre Kamera? Nein. Es lag keine Kamera im Bergwerksschacht.«
»Nicht im Bergwerksschacht! Im Keller des Ipatjew-Hauses.«
Pekkala spürte, wie sein Gesicht plötzlich taub wurde. »Sie waren im Ipatjew-Haus?«
Katamidse nickte. »Ja. Ich bin Fotograf«, sagte er, als würde das alles erklären. »Der einzige in der Stadt.«
»Aber wie sind Sie in den Keller gekommen?«, fragte Pekkala. Laut Anton waren dort die Leichen der Wachleute gefunden worden. Er versuchte ruhig zu klingen, obwohl sein Herz raste.
»Für das Porträt!«, sagte Katamidse. »Sie haben mich gerufen. Ich habe ein Telefon. Es gibt nicht viele Telefone in der Stadt.«
»Wer hat Sie gerufen?«
»Ein Offizier der Inneren Sicherheit, der Tscheka. Sie haben den Zar und seine Familie bewacht. Der Offizier sagte, ich solle ein Porträt machen, damit das Land weiß, dass die Romanows gut behandelt werden. Er sagte, es würde veröffentlicht werden.«
»Hat er seinen Namen genannt?«
»Nein. Ich habe nicht gefragt. Er sagte nur, er gehöre zur Tscheka.«
»Haben Sie gewusst, dass der Zar im Ipatjew-Haus untergebracht war?«
»Natürlich! Keiner hat sie gesehen, aber alle haben es gewusst. So was kann man nicht geheim halten. Die Wachleute hatten einen provisorischen Zaun um das Haus errichtet und die Fenster angestrichen, damit niemand hineinschauen konnte. Danach rissen sie den Zaun ab, aber solange die Romanows da waren, zückten die Soldaten sofort ihre Waffen, wenn man auch nur stehen blieb und das Haus betrachtete. Nur die Rotgardisten kamen und gingen. Und ich bekam den Anruf! Ein Porträt des Zaren. Stellen Sie sich bloß vor! Den einen Moment noch fotografiere ich preisgekrönte Kühe und Bauern, die mich mit Äpfeln bezahlen, weil sie kein Geld für Fotografien haben, und im nächsten mache ich ein Bild der Romanows. Ich hätte Karriere machen können. Ich hatte vor, mein Honorar zu verdoppeln. Der Offizier sagte, ich solle gleich vorbeikommen, obwohl es schon dunkel war. Ich fragte, ob es nicht bis zum nächsten Morgen Zeit habe. Er sagte, er habe gerade seine Befehle aus Moskau erhalten. Sie wissen ja, wie solche Leute sind. Die kommen nur schwer in die Gänge, aber wenn sie dann was wollen, muss es immer gestern geschehen. Er sagte, es gebe
Weitere Kostenlose Bücher