Roter Zar
einen Raum im Keller, der sei freigeräumt worden und würde sich für das Familienporträt gut eignen. Zum Glück wusste ich, dass die Ipatjews Strom im Haus hatten, ich konnte also meine Studioscheinwerfer mitnehmen. Ich hatte kaum Zeit, alles zusammenzupacken. Man braucht ja einiges für so eine Aufnahme. Stativ, Filme. Ich hatte seit kurzem eine neue Kamera. In Moskau bestellt. Ich hatte sie erst einen Monat. Ich hätte sie gern wieder.«
»Was ist passiert, als Sie im Ipatjew-Haus ankamen?«
Katamidse blies die Backen auf und atmete hörbar aus. »Na, auf dem Weg dorthin wäre ich fast überfahren worden. Einer ihrer Laster raste an mir vorbei. Sie hatten zwei davon, müssen Sie wissen. Ich hatte meine gesamte Ausrüstung bei mir. Ich konnte gerade noch ausweichen. Ein Wunder, dass nichts kaputtging.«
»Wo war der andere Laster?«
»Im Hof hinter dem Haus. Ich konnte ihn nicht sehen, der Hof ist nämlich von hohen Mauern umgeben, aber ich habe den laufenden Motor gehört. Und die Abgase gerochen. Als ich anklopfte, kamen zwei Tscheka-Leute heraus. Beide hatten die Waffen im Anschlag. Sie waren sehr nervös und sagten mir, ich solle wieder gehen. Als ich das mit der Fotografie erklärte und sagte, der Befehl dazu sei von einem ihrer Offiziere gekommen, ließen sie mich rein.«
»Was haben Sie gesehen, als Sie das Haus betraten?«
Katamidse zuckte mit den Achseln. »Ich kannte das Haus. Ich habe von der Familie Ipatjew Porträts gemacht. Es sah aus wie immer, außer dass vielleicht weniger Möbel im Erdgeschoss standen. Oben war ich nie. Dort waren die Romanows untergebracht. Rechts von der Eingangstür ist die Treppe, links davon ein großes Zimmer.«
»Haben Sie die Romanows zu Gesicht bekommen?«
»Zunächst nicht«, sagte Katamidse, und in der nachfolgenden Stille wiederholten seine Lippen lautlos die Worte. Zunächst nicht. Zunächst nicht. »Ich habe sie gehört, oben. Gedämpfte Stimmen. Auch Musik. Ein Grammophon. Mozart, Klaviersonate Nummer 11 . Das habe ich auch immer gespielt, als ich Klavierunterricht hatte.«
Mozart gehörte zu den Lieblingskomponisten der Zarin. Pekkala sah sie noch vor sich, wie sie mit geneigtem Kopf der Musik gelauscht, dabei Daumen und Zeigefinger zusammengelegt und mit der Hand mitdirigiert hatte.
»Ich brachte meine Sachen in den Keller«, fuhr Katamidse fort. »Dann holte ich einige Stühle aus dem Speisezimmer und baute meine Scheinwerfer und das Stativ auf. Ich überprüfte gerade den Film in der Kamera, als ich hinter mir ein Geräusch hörte. Eine Frau erschien auf der Treppe. Prinzessin Maria. Ich erkannte sie von den Bildern, die ich gesehen hatte. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, also ging ich auf die Knie! Sie lachte mich aus und sagte mir, ich solle aufstehen. Sie sagte, man habe ihr von den Aufnahmen erzählt, und sie wolle nachsehen, ob schon alles bereit wäre. Ich bejahte. Sie könnten alle unverzüglich kommen. Daraufhin ging sie wieder nach oben.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Was ich getan habe? Ich habe an die zwanzig Mal die Kamera überprüft, um mich zu vergewissern, dass alles funktioniert, und dann hörte ich sie nach unten kommen. So leise wie Mäuse. Sie betraten nacheinander den Raum, und ich verbeugte mich vor jedem Einzelnen, und sie nickten nur. Ich dachte, mir bleibt das Herz stehen! Ich setzte den Zar und die Zarin auf die beiden Stühle in der Mitte, links und rechts von ihnen jeweils die jüngsten, Anastasia und Alexej. Hinter ihnen standen die drei ältesten Töchter.«
»Wie kamen sie Ihnen vor?«, fragte Pekkala. »Waren sie nervös?«
»Nicht nervös. Nein, das würde ich nicht sagen.«
»Haben sie mit Ihnen geredet?«
Katamidse schüttelte den Kopf. »Nur um zu fragen, ob es passt, wie sie standen oder saßen. Ich konnte ihnen kaum antworten, ich war ja so nervös.«
»Und dann?«, fragte Pekkala. »Was ist dann passiert?«
»Ich hatte gerade die erste Aufnahme im Kasten. Ich wollte mehrere machen. Da hörte ich ein Klopfen an der Haustür. Die Wachleute machten auf. Stimmen waren zu hören, aber ich verstand nicht, was gesprochen wurde. Dann gab es Schreie. Das war der Moment, als der Zar plötzlich nervös wurde. Und dann hörte ich einen Gewehrschuss. Einmal! Zweimal! Ich weiß nicht mehr, wie oft geschossen wurde. Es musste oben eine richtige Schießerei stattgefunden haben. Eine der Prinzessinnen schrie, welche, weiß ich nicht mehr. Der Zarewitsch fragte seinen Vater, ob sie jetzt gerettet würden. Der
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