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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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sie wie ein Echo in seinem Kopf nach. Außerdem bemerkte er, dass sein rechter Knöchel und das linke Handgelenk übel geschwollen waren. Wahrscheinlich war er mit ihnen an die Wand in seiner Zelle gefesselt.
    »Es verstößt gegen die Vorschriften«, sagte der Aufseher.
    »Gehen Sie schon«, erwiderte Pekkala.
    Der Aufseher sah aus, als wollte er am liebsten ausspucken. »Gut«, sagte er. »Aber dieser Mann gilt als gefährlich. Kommen Sie ihm nicht zu nahe. Ich übernehme keine Verantwortung, wenn was passieren sollte.«
    Als die beiden Männer allein waren, setzte sich Pekkala auf den Boden und lehnte sich mit dem Rücken an die Wand. Er wollte nicht, dass Katamidse das Gefühl hatte, er würde verhört werden.
    »Welche Jahreszeit ist jetzt?«, fragte Katamidse.
    »Bald Herbst«, erwiderte Pekkala. »Die Blätter verfärben sich schon.«
    Ein Lächeln huschte über Katamidses Gesicht. »Ich erinnere mich an den Geruch des Laubs am Boden nach dem ersten Frost. Ich habe es geglaubt, als man mir gesagt hat, Sie wären tot.«
    »War ich auch, in gewisser Weise.«
    »Dann sollten Sie mir danken, Inspektor Pekkala, dass ich Sie aus der Welt der Toten zurückgeholt habe! Und jetzt haben Sie etwas, wofür es sich zu leben lohnt.«
    »Ja«, sagte Pekkala. »Das habe ich.«

Ilja und Pekkala standen in der dichten Menschenmenge auf dem Bahnsteig des Nikolai-Bahnhofs in Petrograd.
    Es war die letzte Februarwoche
1917
.
    Ganze Regimenter – das Wolhynische Garderegiment, das Semjonowski- und das Preobraschenski-Regiment – hatten gemeutert. Viele Offiziere waren bereits erschossen worden. Vom Litejny-Prospekt war Maschinengewehrfeuer zu hören. Mit den Soldaten hatten streikende Fabrikarbeiter und Matrosen von der Festungsinsel Kronstadt mit der systematischen Plünderung von Geschäften begonnen. Sie hatten das Amtsgebäude der Petrograder Polizei gestürmt und die Fahndungslisten zerstört.
    Der Zar hatte schließlich davon überzeugt werden können, Kosaken gegen die Aufständischen in den Kampf zu schicken, aber die Entscheidung kam zu spät. Als die Kosaken sahen, wie weit die Revolution fortgeschritten war, stellten auch sie sich gegen die Regierung.
    An diesem Punkt wusste Pekkala, dass er Ilja außer Landes schaffen musste, zumindest so lange, bis sich die Lage beruhigt hatte.
    Der Zug nach Kiew war bereit zur Abfahrt. Von dort würde es weiter nach Odessa gehen, und von dort sollte Ilja irgendwie versuchen, nach Frankreich und nach Paris zu gelangen.
    »Hier«, sagte Pekkala und fasste in seinen Hemdausschnitt. Er brachte ein Lederband zum Vorschein, das er um den Hals trug und an dem ein goldener Siegelring hing. »Pass für mich auf ihn auf.«
    »Aber das sollte doch dein Hochzeitsring sein.«
    »Wird er auch«, erwiderte er. »Wenn wir uns wiedersehen, werde ich diesen Ring anlegen und ihn nie mehr abnehmen.«
    Die Menge wogte hin und her wie ein Getreidefeld im Wind.
    Viele der Flüchtenden waren mit großen Seemannstruhen erschienen, mit Koffern, sogar mit Vögeln in Käfigen. Die erschöpften Gepäckträger in ihren dunkelblauen Uniformen, den kleinen runden Hütchen und Hosen, die mit einem dünnen roten Streifen verziert waren, als liefe ein Blutrinnsal das Bein hinab, hatten schwer zu schleppen. Es waren einfach zu viele Menschen. Niemand kam voran, ohne den anderen aus dem Weg zu drängen. Immer mehr Passagiere ließen ihr Gepäck kurzerhand stehen und schoben sich mit dem Fahrschein in der über den Kopf erhobenen Hand zum Zug voran. Ihre Rufe übertönten noch das Schnaufen der kurz vor der Abfahrt stehenden Dampflokomotive. Hoch oben unter den verschmutzten Glasscheiben des Daches bildeten sich Kondenstropfen, die als schwarzer Regen auf die Passagiere niedergingen.
    Ein Schaffner lehnte sich aus einer Waggontür und stieß auf seiner Pfeife drei schrille Töne aus.
    »Noch zwei Minuten«, sagte Pekkala. »Der Zug wird nicht warten. Du musst los, Ilja.«
    Panik machte sich in der Menge breit.
    »Ich könnte auf den nächsten Zug warten«, flehte sie. Sie hielt ihre einzige, aus gefärbtem Teppichstoff gefertigte Tasche umklammert, die einige Bücher, ein paar Bilder und eine zweite Wäschegarnitur enthielt.
    »Einen nächsten Zug gibt es vielleicht nicht mehr. Du musst jetzt fahren.«
    »Aber wie willst du mich finden?«, fragte sie.
    Er lächelte schwach und strich ihr durchs Haar. »Keine Sorge«, sagte er. »Wenn ich etwas kann, dann das.«
    »Wie werde ich wissen, wo du bist?«
    »Wo immer der

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