Roter Zar
Zar befahl ihnen, still zu sein. Er stand auf, ging an mir vorbei zur Tür und schloss sie. Ich war wie gelähmt. Er wandte sich an mich und fragte, ob ich wüsste, was los sei. Ich konnte noch nicht einmal sprechen. Er musste bemerkt haben, dass ich nichts wusste. Dann sagte er zu mir: ›Lassen Sie sich nicht anmerken, dass Sie Angst haben.‹«
»Und dann?«
»Schritte. Sie kamen die Treppe herunter. Dann flog die Tür auf. Ein Tscheka-Wachmann kam in den Raum.«
»Ein anderer?«
»Ja. Ich hatte ihn davor nicht gesehen. Im ersten Augenblick dachte ich, er wäre gekommen, um uns zu sagen, dass alles in Ordnung sei.«
»Nur ein Mann? Können Sie ihn beschreiben?«
Katamidse legte das Gesicht in Falten. »Er war weder groß noch klein. Er hatte eine schmale Brust und schmale Schultern.«
»Und sein Gesicht?«
»Er trug so eine Mütze, wie sie Offiziere tragen, bei denen der Schirm die Augen beschattet. Ich konnte ihn nicht richtig sehen. Er hielt in jeder Hand einen Revolver.«
Pekkala nickte. »Und dann?«
»Der Zar sagte dem Mann, er soll mich gehen lassen«, fuhr Katamidse fort. »Ich dachte nicht, dass er das tun würde, aber dann sagte er mir, ich solle verschwinden. Ich hörte noch, als ich hinaustaumelte, dass er etwas zum Zaren sagte.«
»Sie haben sich unterhalten?«
»Ich konnte nicht verstehen, was sie sagten. Sie hatten die Stimmen gesenkt.«
»Haben Sie gehört, ob der Zar ihn mit Namen angesprochen hat?«
Katamidse starrte hinauf zur Glühbirne an der Decke. »Der Zar rief etwas, als der Mann in den Raum kam. Es hätte ein Name sein können. Ich habe mich lange daran erinnert, aber irgendwann war es aus meinem Gedächtnis verschwunden.«
»Strengen Sie sich an, Katamidse. Versuchen Sie sich zu erinnern.«
Katamidse lachte. »Nachdem ich so lange versucht habe, alles zu vergessen?« Er schüttelte den Kopf. »Nein, ich weiß es nicht mehr. Als Nächstes erinnere ich mich, dass sich der Zar und der Wachmann stritten. Dann lösten sich Schüsse. Ich hörte Schreie. Der ganze Raum war voller Rauch.«
»Warum sind Sie nicht weggelaufen?«, fragte Pekkala.
Wieder schüttelte Katamidse den Kopf. »Ich war wie gelähmt, meine Beine wollten mich einfach nicht die Treppe hinauftragen. Ich stand nur da und sah alles mit an. Ich konnte nicht glauben, was da geschah.«
»Was haben Sie dann getan?«
»Plötzlich hörten die Schüsse auf. Die Tür stand halb offen. Ich sah, wie der Wachmann nachlud. Körper krümmten sich auf dem Boden. Sie stöhnten. Ein Frauenarm bewegte sich im Rauch. Ich konnte Alexej erkennen. Er saß immer noch auf seinem Stuhl und hielt sich die Hände vor die Brust. Er starrte einfach nur vor sich hin. Als der Revolver nachgeladen war, ging der Wachmann von einem zum anderen.« Er verstummte, nur sein Kiefer bewegte sich noch.
»Haben Sie gesehen, dass er Alexej erschossen hat?«
»Ich habe ihn die Zarin erschießen sehen«, sagte Katamidse stockend.
Pekkala zuckte innerlich zusammen. »Was ist mit Alexej? Was ist mit ihm geschehen?«
»Ich weiß es nicht. Ich weiß nicht, wie jemand hätte überleben sollen. Schließlich kam ich zur Besinnung und lief weg. Die Stufen hinauf und hinaus zur Haustür. Dort lagen die beiden Wachleute, die mich reingelassen hatten. Sie lagen auf dem Boden, beide erschossen. Um sie herum viel Blut. Ich nahm jedenfalls an, dass sie tot waren. Ich blieb nicht stehen, um es zu überprüfen. Ich verstehe es nicht. Wenn die Tscheka die Romanows bewachte, warum sollte dann einer von ihnen den Zaren und sogar die eigenen Leute umbringen?«
»Was ist dann passiert, Katamidse?«
»Ich rannte in die Dunkelheit hinaus«, sagte er, »immer weiter. Erst flüchtete ich mich nach Hause, aber dann dämmerte mir, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis man mich dort suchen würde, entweder der Mörder oder andere, die mich für den Täter hielten. Also machte ich mich wieder davon. Ich rannte in den Wald, dort habe ich eine kleine Hütte, eine von der Art, die man
Semljanka
nennt.«
Pekkala musste an seine eigene Erdhütte im Wald von Krasnagoljana denken, von der nichts übrig geblieben war außer Asche und ein paar verrosteten Nägeln.
»Ich wusste, dass ich dort in Sicherheit war«, fuhr Katamidse fort, »zumindest für eine Weile. Ich war etwa eine Stunde unterwegs, als ich an der alten Mine außerhalb der Stadt vorbeikam. Es ist ein verrufener Ort. Er wird von den Alten
Tunug Koriak
genannt, das heißt, ›dort, wo die Vögel aufgehört haben zu
Weitere Kostenlose Bücher