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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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auch schon die nächste Frage: »Wohin fahren wir?«
    Wieder blieb ihm keine Zeit, etwas zu erwidern.
    »Ist sonst noch jemand im Boot?«, kam sie ihm zuvor. »Warum antwortest du mir nicht?«
    »Würde ich, wenn du mich lassen würdest«, sagte er. »Die Antworten lauten ›nicht lang‹, ›sag ich nicht‹ und ›nein‹.«
    Ilja seufzte und verschränkte die Hände im Schoß. »Was, wenn eine meiner Schülerinnen mich sieht? Dann glauben sie, ich werde entführt.«
    »Ich liebe dich«, sagte Pekkala. Das hatte er eigentlich erst später sagen wollen, aber es rutschte ihm einfach heraus.
    »Was?«, fragte sie mit plötzlich warmer Stimme.
    »Du hast mich gehört.«
    Sie schluckte.
    Er fragte sich, ob er einen Fehler gemacht hatte.
    »Na, das wurde aber auch langsam Zeit«, sagte sie.
    »Du bist der zweite Mensch, der mir das in letzter Zeit sagt.«
    »Ich liebe dich auch«, sagte sie.
    Das Boot stieß sanft gegen die Insel, die in der Mitte des Großen Sees lag. Dort stand ein großer Pavillon, der fast die gesamte Insel einnahm, so dass es schien, als schwebte er auf dem Wasser.
    Pekkala zog die Ruder ein, dann half er Ilja aus dem Boot. Sie trug immer noch die Augenbinde, aber sie beschwerte sich nicht mehr – auch zuvor hatte sie nicht ernsthaft protestiert. Er führte sie hinauf zum Pavillon, in dem ein Tisch mit zwei Stühlen stand. Eine Laterne auf dem Tisch tauchte alles in ein gedämpftes Licht, die Stuhllehnen warfen Schatten, die ineinander verschlungenen Ranken glichen.
    Nachdem sie Platz genommen hatte, hob er die silbernen Wärmedeckel von den Tellern. Er hatte das Essen selbst zubereitet: zusammengerollte, mit Butter und Petersilie gefüllte und anschließend frittierte Hühnchenbrust, was als Kiewer Kotelett bezeichnet wurde, dazu gab es Pilze in einer Sahne-Weinbrandsauce, Gartenbohnen, die nicht dicker als eine Stricknadel waren, und mit Rosmarin gewürzte Bratkartoffeln. Die Zarin hatte eine Flasche Grande Dame Veuve Clicquot beigesteuert. Neben der Laterne stand eine Schale mit wunderbaren Äpfeln, die sie mit Käse zum Nachtisch essen wollten.
    Die Teller standen auf silbernen Ringen, in deren Mitte eine niedrige Kerze brannte, die das Essen warm hielt.
    Pekkala nahm die Kerzen und die Ringe weg und plazierte die Teller direkt auf dem Tisch.
    Er atmete tief ein, ließ den Blick über die Umgebung schweifen und vergewisserte sich, dass alles in Ordnung war. In den vergangenen zwei Tagen war er so sehr mit den Vorbereitungen beschäftigt gewesen, dass für Nervosität keinerlei Zeit geblieben war. Dafür war er jetzt umso nervöser. Er atmete langsam aus. »Du kannst die Binde jetzt abnehmen«, sagte er.
    Sie sah zum Essen, dann zu ihm, dann blickte sie sich im Pavillon um, den die Dunkelheit umfing wie ein Samtvorhang.
    Unsicher beobachtete Pekkala sie.
    »Dieser ganze Aufwand wäre doch gar nicht nötig gewesen«, sagte sie.
    »Na ja, ich weiß, aber …«
    »Ich bin doch schon beim ersten Knarren der Ruder dahingeschmolzen.«

K irow hielt in der einen Hand den Holzapfel, während er mit der anderen den Wagen lenkte. »Ist es nicht herrlich?«, sagte er. »Leben wir nicht in wunderbaren Zeiten?«
    Das Wodowenko-Sanatorium lag oben auf einem windumtosten Hügel. Eine einzige Straße führte hinauf zum hoch aufragenden Steingebäude. Der gesamte Hügel war jeglicher Vegetation beraubt, das umliegende Land war gepflügt.
    »Warum?«, fragte Kirow. »Soll hier was angebaut werden?«
    Es war Anton, der darauf antwortete. »Dadurch kann man die Spuren besser verfolgen, falls jemand abhauen sollte.«
    Sie erreichten den Kontrollpunkt am Fuß des Hügels.
    Bewaffnete Wachen überprüften ihre Papiere, dann wurde die gelb-schwarze Schranke geöffnet, und sie konnten hindurch.
    Die beiden Stahltore am Eingang des Sanatoriums schwangen auf. Der Emka rollte in den Innenhof.
    Die hohen Mauern ragten über ihnen auf. Vor sämtlichen Fenstern hingen dicke Eisenplatten, die mit einer Handbreit Abstand zu den Wänden angebracht waren.
    Kirow stellte den Motor aus.
    Die Stille, die sie umfing, hatten sie nicht erwartet; es war, als würde alles und jeder im Gebäude den Atem anhalten.
    Am Empfangsschalter im Eingangsbereich nahm ein Aufseher erneut ihre Dokumente in Augenschein. Er hatte ein breites Gesicht, zerzauste rote Haare und rostrote Sommersprossen. Seine Nase war gebrochen und schief zusammengewachsen. Er zog eine Akte heraus und schob sie über den Schalter.
    An die obere linke Ecke, sah Pekkala,

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