Roter Zar
war das Foto eines verängstigten Mannes geheftet, oben stand ein Name: Katamidse.
Der Aufseher griff zum Telefon und befahl, den Patienten in einen sicheren Raum zu bringen.
Was, ging Pekkala durch den Kopf, meinte er mit »sicher«, wenn sie sich hier in einem Gebäude befanden, das sowieso bereits einem Gefängnis glich?
»Sie müssen Ihre Waffen abgeben«, sagte der Aufseher.
Zwei Tokarew und der Webley wurden auf den Schalter gelegt.
Der Aufseher musterte den Webley, dann sah er zu Pekkala, sagte aber nichts. Die Waffen wurden in einen Eisenschrank gelegt. Dann erhob sich der Aufseher, ging zu einer Doppeltür aus Stahl, schob den Riegel zurück und deutete mit einem Nicken an, dass sie hineinkonnten.
Pekkala wandte sich an Anton und Kirow. »Wartet hier«, sagte er.
Anton wirkte erleichtert.
»Es macht mir nichts aus mitzukommen«, sagte Kirow. »Ich würde sogar …«
»Nein«, sagte Pekkala.
Anton klopfte Kirow auf die Schulter. »Kommen Sie, gehen wir nach draußen. Dort können Sie auch Ihre hübsche Pfeife schmauchen.«
Kirow starrte ihn finster an, erwiderte aber nichts.
Pekkala ging durch die gepanzerte Tür, der Aufseher folgte ihm und sperrte mit einem Schlüssel ab, der an seinem Gürtel baumelte.
Schon nach wenigen Metern in den Korridoren von Wodowenko brach Pekkala der Schweiß aus. Es begann mit den Böden, die, mit dickem grauem Filz ausgelegt, seine Schritte dämpften und jedes Geräusch aufzusaugen schienen. Der Geruch nach Teerseife, zerkochtem Essen, Exkrementen und dem alles durchdringenden, ätzenden Schweiß von Menschen, die Angst hatten, stürmte auf seine Sinne ein.
In den Korridoren lag eine Eisentür neben der anderen. Alle waren mit grünlich blauer Farbe gestrichen, die in mehreren Schichten auf dem Metall haftete, alle waren geschlossen, alle hatten einen mit einem Schieber versehenen Beobachtungsschlitz. Darunter war eine Durchreiche für die Mahlzeiten angebracht.
Pekkala blieb stehen. Seine Beine wollten nicht weiter, Schweiß tropfte ihm von den Wangen. Sein Atem schien sengend heiß.
»Alles in Ordnung mit Ihnen?«, fragte der Aufseher.
»Ja«, erwiderte Pekkala.
»Sie waren noch nie hier«, sagte der Aufseher. »Hier oder woanders. Ich kenne den Blick von den Leuten, die hier ein zweites Mal aufkreuzen.«
Der Aufseher führte ihn zu einem Raum im zweiten Untergeschoss.
Die niedrige Decke befand sich kaum eine Handbreit über Pekkalas Kopf. Genau in der Mitte stand ein mit L-förmigen Klammern fest im Betonboden verschraubter Eisenstuhl.
Das einzige Licht stammte von einer nackten Glühbirne, die in einem Metallkäfig über dem Stuhl hing.
Auf dem Stuhl saß ein Mann, seine beiden Handgelenke waren mit einer Kette an die vorderen Stuhlbeine gefesselt. Er war groß und wegen der Fesseln gezwungen, nach vorn gebeugt zu sitzen – Pekkala musste an einen Sprinter vor dem Beginn des Rennens denken.
Um seinen kahlen Schädel zog sich ein grauer, verdreckter Haarkranz. Er hatte große Ohren und ein weiches, rundes Kinn mit einem Zweitagebart. Die Augen des Mannes waren so graublau wie die eines neugeborenen Kindes.
Katamidse trug die gleiche beigefarbene Kleidung, die auch Pekkala bei seiner Einlieferung in den Gulag ausgegeben worden war. Er erinnerte sich an den beschämend dünnen Stoff, der an den Beinen klebte, wenn er schwitzte, und das fehlende Zugband, so dass er immer die Hose festhalten musste.
»Katamidse«, sagte der Aufseher. »Hier ist jemand, der dich sprechen will.«
»Das ist nicht meine übliche Zelle«, erwiderte der Angesprochene.
»Katamidse«, sagte der Aufseher, »siehst du den Mann, den ich zu dir gebracht habe?«
»Ich sehe ihn.« Er fixierte Pekkala. »Sie sind also das Smaragdauge.«
»Ja«, sagte Pekkala.
»Beweisen Sie es«, sagte Katamidse.
Pekkala schlug das Revers zurück. Der Smaragd blitzte im Schein der vergitterten Glühbirne.
»Ich habe gehört, Sie seien tot.«
»Eine kleine Übertreibung«, erwiderte Pekkala.
»Ich habe gesagt, dass ich nur mit Ihnen sprechen werde.« Katamidse sah zum anderen. »Unter vier Augen.«
»Gut«, sagte Pekkala.
»Ich bin nicht befugt, Sie mit dem Patienten allein zu lassen«, sagte der Aufseher.
»Ich will nicht freigelassen werden«, sagte Katamidse, und dann bewegte sich sein Mund noch, lautlos, ohne Ton, lange nachdem er die Worte ausgesprochen hatte.
Pekkala las ihm von den Lippen ab und erkannte, dass Katamidse nur die letzten Worte jedes Satzes wiederholte, als hallten
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