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Roter Zar

Roter Zar

Titel: Roter Zar Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sam Eastland
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einen schiefergrauen Rock mit einfachen Messingknöpfen und enganliegendem Stehkragen. »Darf ich reinkommen?«, fragte er.
    »Ja«, sagte Pekkala.
    Der Zar wartete. »Vielleicht treten Sie dann zur Seite.«
    Pekkala geriet beinahe ins Stolpern, als er Platz machte.
    »Ich kann nicht lange bleiben«, sagte der Zar. »Ich stehe unter ständiger Bewachung. Ich muss zurück, bevor meine Abwesenheit auffällt.« Der Zar sah sich im niedrigen Zimmer um, ließ die Blicke über die blassgelben Wände, den kleinen offenen Kamin und den davorstehenden Stuhl schweifen. Dann musterte er Pekkala. »Ich möchte mich dafür entschuldigen, bislang keinen Kontakt mit Ihnen aufgenommen zu haben. Aber je weniger wir zusammen gesehen werden, desto besser ist es. Mir sind Gerüchte zu Ohren gekommen, dass wir, meine Familie und ich, irgendwann in den nächsten zwei Monaten von hier fortmüssen.«
    »Wohin gehen Sie?«
    »Jemand sagte etwas von Sibirien. Wenigstens wird die Familie zusammenbleiben. Das war Teil der Vereinbarung.« Er seufzte schwer. »Die Dinge haben sich zum Schlechteren gewendet. Ich war genötigt, Major Koltschak eine Nachricht zukommen zu lassen. Sie erinnern sich noch an ihn, oder?«
    »Ja, Exzellenz. Ihre Versicherungspolice.«
    »Genau. Und in Anbetracht dessen, dass man sich darum kümmern soll, was einem kostbar ist«, und der Zar lächelte schwach, »möchte ich, dass Sie, alter Freund, von hier verschwinden.« Er fasste in seine Tasche und zog eine Ledermappe heraus. »Hier sind die Dokumente für Ihre Reise.«
    »Dokumente?«
    »Gefälscht, natürlich. Ausweispapiere. Zugfahrkarten. Etwas Geld. Noch wird richtiges Geld angenommen. Die Bolschewiken hatten noch keine Zeit, ihre eigenen Scheine zu drucken.«
    »Aber, Exzellenz«, protestierte er, »dem kann ich nicht zustimmen.«
    »Pekkala, wenn Ihnen unsere Freundschaft jemals etwas bedeutet hat, dann zwingen Sie mich nicht, die Verantwortung für Ihren Tod zu übernehmen. Sobald wir von Zarskoje Selo fort sind, werden alle, die dann immer noch hier sind, zusammengetrieben und inhaftiert. Ich kann dann für Ihre Sicherheit ebenso wenig bürgen wie für meine eigene. Wenn die Wachen bemerken, dass Sie geflüchtet sind, Pekkala, werden sie nach Ihnen suchen. Je größer Ihr Vorsprung, umso besser. Sie wissen, mit Ausnahme des Haupttors und des Zugangs zur Küche sind alle Eingänge abgeriegelt. Es gibt allerdings einen in der Nähe des Lamskoj-Pavillons, der nur für Fahrzeuge gesperrt ist. Ein Mensch kann sich durchzwängen. Dort wartet ein Wagen auf Sie. Er wird Sie so weit wie möglich in Richtung finnische Grenze bringen. Der Zugverkehr in der Stadt ist eingestellt, aber auf dem Land fahren noch Züge. Mit ein wenig Glück kommen Sie so vielleicht nach Helsinki.« Der Zar hielt ihm die Ledermappe hin. »Nehmen Sie es, Pekkala.«
    Pekkala nahm die Mappe entgegen.
    »Ah. Und noch etwas«, sagte der Zar. Er fasste in die Innentasche seines Rocks und zog Pekkalas Ausgabe des Kalevala heraus, die er sich vor Monaten ausgeliehen hatte. »Womöglich haben Sie gedacht, ich hätte es vergessen.« Der Zar überreichte ihm das Buch. »Es hat mir sehr gefallen, Pekkala. Sie sollten mal wieder einen Blick hineinwerfen.«
    »Aber, Exzellenz.« Pekkala legte das Buch auf den Tisch. »Ich kenne die Geschichten alle auswendig.«
    »Vertrauen Sie mir, Pekkala.« Der Zar nahm erneut das Buch zur Hand und schlug damit Pekkala sacht gegen die Brust.
    Verwirrt starrte Pekkala den Zaren an. »Wie Sie meinen, Exzellenz.«
    Pekkala traten beinahe Tränen in die Augen, wenn er den Zaren so hörte. Ihm war nur allzu klar, dass es für ihn hier nichts mehr auszurichten gab. »Wann soll ich aufbrechen?«, fragte er.
    »Jetzt!« Der Zar ging zur offenen Tür und zeigte über die weite Fläche des Alexander-Parks in Richtung Lamskoj-Pavillon. »Es ist an der Zeit, dass Sie sich mit Ihrer Schullehrerin häuslich niederlassen. Wo ist sie jetzt?«
    »In Paris, Exzellenz.«
    »Sie kennen ihren Aufenthaltsort?«
    »Nein, aber ich werde sie finden.«
    »Das bezweifle ich nicht«, erwiderte der Zar. »Darin wurden Sie ja schließlich ausgebildet. Ich wünschte, ich könnte mit Ihnen kommen.«
    Sie wussten beide, wie unmöglich das war.
    »Gehen Sie«, sagte der Zar. »Bevor es zu spät ist.«
    Pekkala machte sich auf den Weg. Bevor er zwischen den Bäumen im Park verschwand, drehte er sich noch einmal um.
    Der Zar stand an der Tür, sah ihm nach und hob zum Abschied die Hand.
    In diesem

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