Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
the UK « zu erkennen. Allerdings kreischte der Sänger dazu etwas auf Japanisch, sodass er sich nicht ganz sicher sein konnte. Er schaute nochmals auf das Schild über dem Eingang. »Rockfish Sushi« stand darauf.
Er ignorierte das an der Tür baumelnde »Geschlossen«-Zeichen und trat ein. Das Innere der Sushibar sahaus, als ob eine Horde japanischer Teenager ein traditionelles japanisches Restaurant okkupiert und in eine WG umfunktioniert hätte. Die Wände waren in schlichtem Holz gehalten, in den Durchgängen gab es keine Türen, sondern Shoji, mit Reispapier bespannte Schiebeelemente. Das war es dann aber auch mit der Tradition. Von Bords und Regalen starrten dem Besucher Hunderte japanischer Actionfiguren entgegen – Transformer, Power Ranger und viele andere, die Kieffer nicht kannte. Auf einem Fernseher lief ein alter Godzilla-Film. Das Monster war gerade dabei, mit seinem Atom-Atem ein Tokioter Stadtviertel einzuäschern.
Im hinteren Teil des Restaurants gab es eine große Bar. Er nahm an, dass die Sushiköche des »Rockfish« hier ihre Maki und Nigiri herstellten. Zurzeit war allerdings keine Menschenseele zu sehen. Kieffer beschloss, dem Lärm zu folgen. Es war wahrscheinlich, dass Toro dort war, wo er herkam. Er schob hinter der Bar ein Shoji beiseite und fand sich in einer Vorbereitungsküche wieder. Edelstahlregale hingen an den Wänden, auf einem Podest standen mehrere große Zedernholzbottiche, allesamt mit schweren Steindeckeln verschlossen. Kieffer schnüffelte an einem. Der säuerliche Geruch von mit Essig mariniertem Sushireis stieg ihm in die Nase.
Auf einer großen Arbeitsfläche in der Mitte des Raumes lagen mehrere japanische Messer. Selbst eine Langnase wie Kieffer konnte sehen, dass es sich um sehr teure Klingen handelte. Der Luxemburger besaß selbst zwei japanische Chefmesser: Ein Santoku, ein Allzweckmesser, und ein Yanagi mit besonders langer, schmaler Klinge, die sich ausgezeichnet zum Filetieren von Fisch und Fleisch eignete. Er hatte sie sich seinerzeit in Paris zugelegt, nachdem ihm Toro erstmals seine eigenen Arbeitsgeräte gezeigt hatte. Sobald Kieffer das erste Mal mit einem der japanischen Schneidewerkzeuge gearbeitet hatte, waren ihm seine Solinger Messer wie Plastikbesteck vorgekommen. Er hatte mehr als 6000 Francs für seine beiden Klingen aus Nippon bezahlt, die Anschaffung aber nie bereut. Denn es gab nichts Besseres.
Kieffer nahm das Yanagi, das auf der Anrichte ruhte, in die Hand. Es war perfekt ausbalanciert, und er schätzte, dass es dreimal so viel kostete wie sein eigenes Fischmesser, vielleicht sogar noch mehr. Er ließ die Schneide vorsichtig über den Nagel seines linken Daumens gleiten. Sie war erwartungsgemäß so scharf wie des Teufels Großmutter und hinterließ eine deutliche Kerbe. Natürlich gab es auch viele gute Messer aus europäischer Fertigung. Aber nichts konnte mit von Hand geschmiedeten japanischen Klingen mithalten. Toro hatte ihm einst erklärt, warum das so war: »Europäische Messerschmiede sind Werkzeugmacher. Immer schon. Die japanischen Schmiede hingegen waren früher allesamt Schwertfeger. Sie haben Waffen für die Samurai gemacht, bis Ende des 19. Jahrhunderts. Und als es keinen Shogun und keine Ritter mehr gab, da haben sie von Katana und Wakizashi auf Küchenmesser umgesattelt. Aber sie schmieden selbst kleine Kartoffelschnippler noch heute so, als ob sie Schwerter herstellten. Als ob es Waffen wären, von denen das Leben ihres Besitzers abhängt.«
Kieffer gefiel diese Vorstellung. Gutes Werkzeug war für einen Koch schließlich in der Tat lebenswichtig. Er legte das Messer wieder beiseite und suchte weiter nach dessen Besitzer. Die Vorbereitungsküche hatte zwei weitere Türen. Bevor Kieffer sich für eine entscheidenkonnte, bemerkte er den Geruch von Rauch, der durch ein gekipptes Fenster in die Küche zog. Was trieb Toro da draußen? Er entschied sich für die linke Tür, ging einen kurzen Gang mit mehreren Spinden entlang und fand sich in einem Hinterhof wieder. Dort stand Kaneda Hashimoto neben etwas, das wie eine Art vorsintflutlicher Barbecue-Grill aussah. Er war gerade dabei, mit einem Fächer die Glut anzuheizen, in einem Rhythmus, den ihm offenbar die aus einem Ghettoblaster dröhnende Punkmusik vorgab. Als der Japaner Kieffer bemerkte, brüllte er »Irassssseeee!«, was vermutlich »Willkommen« heißen sollte. Dann stellte er die Bierflasche ab, die er in seiner Rechten hielt und umarmte den Luxemburger.
»Astreine
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