Rotes Gold: Ein kulinarischer Krimi. Xavier Kieffers zweiter Fall
riesige Betonpfeiler gestellt, sodass man unter dem Museum hindurchgehen konnte. Das Gebäude war von einem kleinen, natürlich gestalteten Park umgeben, der ihn entfernt an einen dieser japanischen Zen-Gärten erinnerte. Mifune hatte den Ort für seine Sushibar offenbar mit Bedacht gewählt. Der Luxemburger lief zum Hauptgebäude und ging dort direkt zum Empfang. »Bonjour Madame. Ich möchte zum ›Ue no tai‹.«
Die junge Frau hinter dem Counter sagte: »Da müssen Sie ins Obergeschoss, es befindet sich auf dem Dach.«
Kieffer nahm den Lift und fand sich kurz darauf in einem Vorraum wieder, der ganz augenscheinlich bereits Teil des Restaurants war. Ihm gegenüber hing ein dunkelblauer, dreigeteilter Vorhang, der mit japanischen Schriftzeichen bedruckt war. Der Türrahmen aus rotlackiertem Holz war dem Eingang eines japanischen Schinto-Schreins nachempfunden, mit zwei zur Decke hin aufeinander zulaufenden Säulen und zwei Querbalken darüber. An der Wand links von ihm hingen alte Drucke. Sie zeigten japanische Fischer, die auf einem mondbeschienenen Meer ihrer Arbeit nachgingen. Rechter Hand hatte man auf einem kleinen Podest ein großes Schwarz-Weiß-Porträt von Ryuunosuke Mifune aufgestellt. Davor lagen Blumen und kleine Zettel.
Er schob den Vorhang beiseite und betrat das Restaurant. Es handelte sich offenbar um einen Aufbau, den man auf das Dach des Branly gesetzt hatte. Das Ganze ähnelte einem Gewächshaus. Es gab keine richtige Decke, sondern eine Art Glaskuppel, die aus Hunderten, durch kleine Stahlstreben verbundenen fünfeckigen Glasscheiben bestand. Statt solider Wände gab es versetzt aufgestellte Glasplatten, die den Wind abhielten. Die Einrichtung war spartanisch, so wie es sich für eine traditionelle Sushibar gehörte; Punktstrahler beleuchteten einige Bilder sowie ein paar japanische Musikinstrumente, die an Drähten von der Decke hingen. Das ›Ue no tai‹ war mit denselben schlichten Tischen und jener handgefertigten Keramik ausgestattet, die er bereits von Mifunes Omakaseim Orsay kannte. Die Aussicht war phänomenal. Der Quai Branly befand sich in der Nähe der Marsfelder, der Eiffelturm, das Seineufer und zahlreiche andere Sehenswürdigkeiten waren von hier oben gut zu erkennen.
»Irasshaimashita.«
Kieffer drehte sich in die Richtung, aus der die Stimme gekommen war. Ihm gegenüber stand eine Frau in einem traditionellen japanischen Kimono. Möglicherweise war es eine jener Damen, die auch im Orsay bedient hatten. Er war sich nicht sicher. »Guten Morgen. Mein Name ist Xavier Kieffer. Ich würde gerne den Maître Ihres Hauses sprechen, wenn das möglich ist.«
»Natürlich, Monsieur. In welcher Angelegenheit?«
Da er keine Möglichkeit sah, sein Anliegen besonders pietätvoll vorzubringen, sagte Kieffer: »Ich ermittle im Fall Mifune.«
Er meinte einen Ausdruck des Schmerzes in ihrem Gesicht wahrzunehmen. Oder war es Erstaunen? Sie drehte sich zu schnell weg, als dass er es genau hätte ausmachen können. Die Bedienung verschwand hinter der Bar und griff dort nach einem Telefon. Zwei Minuten später kam ein Herr in einem schwarzen Anzug aus dem hinteren Teil des Restaurants auf ihn zu. Er war ebenfalls Japaner, soweit Kieffer das beurteilen konnte. Der Mann war höchstens 1,65 Meter groß, machte aber, was ihm in der Länge fehlte, in der Breite mehr als wett. Sein Schädel war kahlgeschoren, wodurch sein verfettetes Gesicht etwas Buddhahaftes bekam – wenn man von der Tatsache absah, dass Buddhas meist feinmilde lächelten. Der Maître lächelte nicht. Er verneigte sich vor Kieffer.
»Ohayoo goozaimasu. Ich bin Toshiro Honda, der Maître. Wie kann ich Ihnen helfen?«
»Guten Tag, Monsieur Honda. Mein Name ist Xavier Kieffer. Mein Beileid zu Ihrem schweren Verlust.«
Der Buddha sagte nichts.
»Ich bin in der Sache als privater Ermittler tätig.«
»Für wen?«
»Ich bedaure, aber das darf ich Ihnen nicht sagen.« Kieffer überlegte, wie er fortfahren sollte. Er hielt es nicht für klug, Allégret direkt zu erwähnen, also musste er sich etwas ausdenken. »Bei dem Omakase, das Monsieur Mifune für den Bürgermeister ausgerichtet hat, waren, wie Sie vielleicht wissen, sehr viele bekannte Persönlichkeiten zugegen.«
Der Maître nickte. »Die Gästeliste ist mir bekannt.«
»Einige von ihnen sind vom Tod des Meisterkochs dermaßen geschockt, dass sie beschlossen haben, selbst aktiv zu werden. Nicht aus Zweifeln an der Tüchtigkeit der Polizei, sondern weil sie der Meinung
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