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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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sehe.«
    Winter antwortete nicht. Jetzt waren sie auf dem Gråbovägen. Er fuhr durch das stille Nachtlicht. Sie begegneten keinen anderen Autos. Als würden wir ganz allein auf der Welt herumfahren, dachte er. Um diese Zeit ist es passiert, vor gerade mal drei Tagen, gegen eins in der Nacht, bevor die Dämmerung kam. Überall still. Dann kamen die Wölfe. Vielleicht haben sie den Weg genommen, den ich jetzt fahre, sahen, was ich jetzt sehe, hörten das gleiche Nichts, das ich höre. Bogen dort ein, wo ich jetzt einbiege, hielten an, wo ich jetzt anhalte, betrachteten das kleine auffallende Gebäude, wie ich es jetzt betrachte. Stiegen aus, wie wir jetzt aussteigen. Setzten sich in Bewegung, wie wir es jetzt tun.

    Er sah sie über den Asphalt gehen. Er hatte schon viele Abstecher hierher gemacht, aber diesmal war es anders. Er wollte nicht mehr herkommen, nur dies eine Mal noch, um zu sehen … ob alles war wie vorher. Aber das war es nicht. Nichts war mehr wie früher. Er hatte sich in der Nacht hinausgeschlichen, wie er es immer getan hatte, aber es war nicht wie früher gewesen. Wie früher wachten Mama und Papa nicht auf, aber das bedeutete nicht mehr so viel. Er wünschte, sie wären aufgewacht. Ich wünschte, ich hätte es nie getan. Dass ich überhaupt nicht dort gewesen wäre. Und dass ich nicht zurückgekommen wäre. Aber ich wollte wieder hierher. Weil ich nicht glaubte, was ich gesehen hatte. Und dann bin ich gelaufen. Ich vergaß, dass ich das Fahrrad hatte! Und dann bin ich mit dem Fahrrad gefahren. Niemand hat mich gesehen, das glaube ich jedenfalls nicht, nicht all die Male, die ich von hier weggelaufen oder weggefahren bin. Ich sollte nicht hier sein, ich weiß nicht, warum ich wieder hier bin. Früher war es still, vielleicht möchte ich, dass alles wieder still und ruhig ist wie früher, wie es auch war, als der Laden offen war, als sie dort waren, als alle dort waren, als es hell war. Und jetzt kommen die anderen. Ich kann sie nicht erkennen. Es sind zwei. Ich muss hier weg.

    »Was war das?«
    »Was?«
    »Hinter dem Haus war ein Geräusch«, sagte Winter.
    »Ich hab ni …«
    »Still!«
    Jetzt hörte Ringmar es auch. Etwas bewegte sich.
    Winter war schon losgelaufen.
    Ringmar folgte ihm, in sechs Sekunden von null auf hundert. Sie waren hinter dem Gebäude. Ringmar sah immer noch Winters Rücken, aber auch etwas anderes, etwas wie einen fliehenden hellen Fleck gegen den dunklen Streifen Asphalt und das dunkle Gras zu beiden Seiten.
    »Das ist er!«, sagte Winter. Ringmar hörte ihn atmen. Er sah den Fleck hinter einer Hecke verschwinden. Bis dorthin waren es fünfzig Meter, siebzig vielleicht.
    Sie blieben gleichzeitig stehen. Winter schlug mit der Hand in die Luft, als wollte er einen unsichtbaren Gegner treffen. Heftig wandte er sich zu Ringmar um.
    »Glaubst du mir jetzt, Bertil?«

    »Warum schleicht er hier herum?«
    Sie waren wieder auf dem offenen Platz vor dem Laden.
    »Ich weiß es nicht. Etwas zieht ihn immer wieder hierher zurück.«
    »Was kann das sein?«
    »Angst vielleicht. Ich weiß es nicht. Ich werde ihn fragen, wenn ich ihn treffe.«
    »Mhm.«
    »Er ist noch hier, oder? Das muss der Junge sein. Die Familie ist nicht Hals über Kopf abgehauen. Ich werde ihn finden. Möglichst heute.«
    »Das wird ein langer Tag, Erik.«
    »Was für ein Glück, dass ich hergefahren bin, um bestätigt zu kriegen, dass der Junge noch hier ist, oder?«
    Ringmar antwortete nicht.
    »Und sag jetzt nicht, es war ein anderer.«
    »Das würde ich nie wagen, Erik.«
    »Ich kann den Morgen kaum erwarten«, sagte Winter.
    »Wollen wir nicht versuchen, ein bisschen zu schlafen?«, sagte Ringmar.

    Er träumte natürlich von Fahrrädern, von einem ganzen Tourde-France-Feld. Alle Radfahrer hatten dasselbe Gesicht und keiner war älter als elf Jahre. Sie verschwanden alle um eine Hausecke und keiner kam auf der anderen Seite wieder zum Vorschein. In diesem Traum passierte noch mehr, was er jedoch beim Aufwachen vergessen hatte.
    Als er die Wohnung verließ, schliefen die anderen noch. Ihm mussten vier Stunden Schlaf reichen. Er war nicht müde. Vielleicht heute Nachmittag, aber das machte nichts. Er würde die Müdigkeit wegtanzen.
    Die Kopfschmerzen hatten ihn nach Hause begleitet, sie verschwanden, als die Schmerztablette zu wirken begann. Angela hatte etwas gemurmelt und war gar nicht richtig wach geworden. Eine Mutter mittleren Alters mit kleinen Kindern brauchte den Schlaf. Winter war nicht mehr ganz so

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