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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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meiner Schwester und spürte plötzlich etwas Warmes an der Schulter. Es tat nicht weh, es war nur warm.
    Ich hörte Mutter schreien. Ich sah sie. Ich weiß nicht, ob sie mir oder meiner Schwester etwas zuschrie oder ob sie nur schrie. Alle schrien.
    Ein Soldat stieg aus dem Auto oder Panzer oder wie sie das nannten. Ich roch Benzin und andere Gerüche, die das Atmen erschwerten. Die Wachen trugen blaue, grüne oder braune Uniformen, das war im Sonnenuntergang nicht genau zu erkennen.
    Ich sah Flaggen, die sich in einiger Entfernung in einer leichten Brise bewegten. Sie waren rot und vielleicht weiß, drei oder vier Stück. Dort war die Grenze. Was auf der anderen Seite war, konnte man nicht sehen, aber dort musste es anders sein. Dort konnte es nicht wie hier sein. Sonst würden wir ja nicht versuchen, hinüberzugelangen.
    Von welcher Seite der Grenze die Soldaten kamen, konnte ich nicht erkennen. Sie konnten von der anderen Seite herübergekommen sein.
    Einer der älteren Männer hatte sich mit erhobenen Armen aufgerichtet. Er rief etwas, oder war es eine Wache, die rief? Ich lag immer noch, versuchte aber zu verfolgen, was geschah. Ich glaube, ich habe durch die Finger gespäht.
    Der Soldat erschoss den Mann. Er stand nur einige Schritte entfernt, hob das Gewehr und schoss. Nur aus wenigen Schritten Entfernung. Der Alte fiel zusammen, er warf nicht die Arme in die Luft und wurde nicht rückwärts geschleudert. Er sackte einfach zusammen.
    Eine der alten Frauen schrie. Ich sah ihre Hand, wenn es denn ihre Hand war.
    Jetzt schienen überall Soldaten zu sein. Wieder hörte ich einen Schuss. Ich drückte mein Gesicht in den kratzenden Sand. Meine Schulter war nicht mehr warm. Ich wagte nicht mehr zu schauen, in keine Richtung. Meine Schwester sagte nichts. Ich glaubte nicht, dass sie noch atmete. Ich glaubte, sie sei tot. Ich glaubte, ich würde auch bald tot sein. Wir sind alle tot, dachte ich.

19
    D as Auto hatte schon bessere Tage gesehen. Und Nächte. Es würde nie mehr fahren. Es würde nicht einmal mehr rollen. Es hatte keine Reifen mehr, das Chassis war verbrannt, alles war verbrannt. Das Auto war zurückgekehrt in eine prähistorische Zeit oder mitten im Untergang der Erde gelandet, Mad Max, offene Wüsten, Sand, Hitze. Heiß war es auf dem Parkplatz, aber Sand gab es nicht. Die Sonne war untergegangen, die Wärme blieb. Die Dunkelheit stieg. Allgemein sagt man, die Dunkelheit senke sich, aber für Winter war sie immer gestiegen. Sie kroch aus der Erde und verdunkelte alles Stück für Stück, erreichte im Sommer jedoch nie richtig den Himmel. Im Westen hing immer ein Lichtschein, der auch den Wald im zentralen Bergsjön erhellte. Der Weg war ein Pfad geworden, der schließlich endete, und dort, neben zwei Tannen, die aussahen wie Zwillinge, stand das ausgebrannte Auto. Es war so weit gefahren worden, bis der Pfad endete.
    Winter war zweimal um das Auto herumgegangen. Ringmar hatte absperren lassen. Es sah absurd aus, als wollte man Elche oder Rehe aussperren. Aber einige Leute waren hier gewesen, sie waren gekommen und wieder gegangen. Zum Zentrum von Bergsjön war es vielleicht ein Kilometer, nicht mehr. Aber es hätte auch eine Meile sein können. Die Stille reichte meilenweit, wenn man sich eine derartige Stille vorstellen konnte. Die Vögel waren für einen Moment eingeschlummert, bevor sie ihr Morgenkonzert anstimmen würden. Ihr Mittsommerlied.
    Winter beobachtete die Leute von der Spurensicherung bei der Arbeit. Torsten Öberg war selbst gekommen. Manchmal hing alles von ihrer Arbeit ab, und manchmal hatte sie weniger Bedeutung, als man glauben sollte. Manchmal hing es von ihm ab, Winter. Ein lustiger Ausdruck: abhängen. Als wäre ihnen die Verantwortung umgehängt worden, wie ein schwerer Mantel, den man von sich werfen könnte.
    Einen Meter innerhalb der Absperrung und einige Meter vom Auto entfernt lagen die Einmalüberziehschuhe. Das blaue Plastik reflektierte ein Licht, das nicht hierher gehörte. Es gehörte nicht in den Wald. Es sah bösartig aus.
    »Jemand hat etwas verloren«, sagte Ringmar.
    »Das hätte er aber merken müssen.« Winter schaute auf. »Wie ist es mit Abdrücken?«
    »Einige weiche, feine, sagt Torsten.«
    »Gut.«
    »Aber leider etwas zu viele.«
    »Du hast gesagt einige.«
    Ringmar zeigte auf den Pfad und den Wald, der sie umgab. Zwischen den Stämmen konnte man hindurchsehen wie durch die Lamellen einer Jalousie.
    »In den letzten vierundzwanzig Stunden sind hier Leute

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