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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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einigen Jahren würde er seine Töchter vielleicht auch nach Alleby karren müssen. Die Reitschule in Säve gab es schon ewig. War Lotta nicht dort draußen geritten? Heute Vormittag hatte er seine Schwester angerufen, und sie hatte ihn und seine Familie für nächstes Wochenende zum Essen eingeladen. Es war eine ganze Weile her, seit sie sich zuletzt gesehen hatten, und er war schon eine Ewigkeit nicht mehr in Hagen gewesen. In diesen Tagen fuhr er nicht in Richtung Westen, immer nur nordwärts. Zuerst war er eine lange Zeit nach Süden gefahren, jetzt nur noch nach Norden.
    Lilly murmelte etwas, vielleicht »was wir machen, wenn wir zur Kirche gehen«. Arm in Arm, so geht man in die Kirche. Auch das war schon eine Weile her, dass er zuletzt in einer Kirche gewesen war. Er vermisste sie, und zwar nicht nur den Kirchenraum. Dort ist es still, selbst wenn wir singen. Bald ist es der einzige Ort, wo man noch Würde findet. Das braucht nichts mit Gott zu tun zu haben. Ich habe Gott noch nie dort drinnen gesehen, nicht einmal auf einem Bild. Es gibt keine Zeugen: Beschreibe, wie er aussah. Wie war er gekleidet? Sprach er einen Dialekt? Welchen Dialekt sprach Gott? Welche Sprache? Konnte er auch Schwedisch? Schwedisch ist eine sehr kleine Sprache, aber der Pfarrer in der Vasakirche sprach Schwedisch mit Gott. Erhöre mich, Herr, denn deine Güte ist tröstlich. Wende dich zu mir. In der Kirche gab es Gott für den, der es wollte, einen Er oder eine Sie, immer unsichtbar, es war nicht gut, Bilder von Göttern zu zeichnen, das wusste die ganze Welt.
    Lilly rollte sich auf den Rücken und begann zu schnarchen. Sie würde dieselben Probleme mit den Polypen bekommen wie Elsa, vielleicht würden sie es ohne Operation schaffen, vielleicht auch nicht. Plötzlich sah er einen Operationstisch vor sich, das Allerletzte, woran er denken wollte, einen Tisch, Messer, nein, zum Teufel, grelles Licht, das den Chirurgen und den Patienten blendete. Die Bilder, die er sich absolut nicht vorstellen wollte, ließen seine Kopfschmerzen wiederkehren, nicht jäh, aber schleichend, ein kleiner hämmernder Keil über dem Auge, und er wusste, dass der Schnaps die Sache nicht besser gemacht hatte, auch wenn er nur zwei Gläschen getrunken hatte, oder vielleicht drei und eine Flasche Leichtbier. Also nur noch einen Whisky, später, während Halders den Grill vorbereitete. Whisky hilft gegen das meiste. Ich leg mich wieder hin. Wenn ich die Augen schließe, gehen die Schmerzen bestimmt vorüber. Wenn sie sich nicht bald legen, werde ich es Angela erzählen, vielleicht nächsten Monat. Oder in der Apotheke nach einem Mittel gegen Migräne fragen. Kann man die Wände damit besprühen? Es sitzt in den Wänden und hinter ihnen. Von außen kann man sie besprühen, das ist besser als Pistolen. Besser als eine Schrotflinte. Ich will nicht an Schrotflinten denken. Er wollte nicht daran denken, was man mit solchen Waffen anrichten kann, aber er konnte die Gedanken nicht aufhalten. Er dachte daran, wie die Opfer gelegen hatten und an das seltsame Schrittmuster auf Öbergs Fotos. Waren sich die Mörder uneins gewesen, wer erschossen werden sollte, oder war es um die Reihenfolge der Hinrichtungen gegangen oder um die Art, wie es geschehen sollte? Er dachte an Said Rezais Frau, Shahnaz. Sie hatte vermutlich in den frühen Morgenstunden jemanden in die Wohnung gelassen, den sie kannte. Oder sie hatte niemanden hereingelassen, der Mörder hatte sich bereits in der Wohnung aufgehalten, ihr Mann. Sie war schon tot gewesen. Winter wusste nicht mit Sicherheit, ob der Mord an Shahnaz vor den Morden in Hjällbo geschehen war oder danach. Vielleicht würde er das nie erfahren, aber das hieß nicht, dass er nicht herausbekommen würde, wer die Täter waren. Und er wusste schon jetzt, dass er überrascht sein würde. Eine gründliche, logische Vorgehensweise würde zu einer Überraschung führen. Er war jedes Mal überrascht, manchmal plötzlich, manchmal allmählich. Menschen und ihre Taten konnten ihn immer wieder überraschen. Bosheit? Nur wenn man von Menschen sprach. Das hatte nichts mit Gott zu tun. Aber mit dem Teufel hatte es vermutlich auch nichts zu tun.
    Lilly schmatzte, als würde sie immer noch an dem großen Gartentisch sitzen und Baisers essen, und Winters Kopfschmerzen ließen nach. Von draußen hörte er ein Frauenlachen, es klang nach Angela. Ein Kind schrie und lachte. Er hörte einen Seevogel kreischen. Die Stimmung auf dem Land und in der Luft war gut.

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