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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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beherrschen.
    »Es geht schnell«, sagte Winter. »Wir sind bald zurück.«

    Sie kamen bald zurück. Bahar wollte sich nicht mehr im selben Raum mit Winter oder Mozaffar aufhalten. Später würde Winter Nasrin fragen, ob sie Bahar kenne. Sie würde es verneinen und erklären, dass Bahar auf Kurdisch »Frühling« bedeutet.
    Winter und Bahar hatten auf dem Hin- und Rückweg im Auto geredet, am meisten auf dem Hinweg.
    Nein, sie kannte keine der Personen, die er ihr nannte. Sie wusste, dass Hama nicht ganz saubere Geschäfte machte, wie sie es nannte, aber sie wusste nicht, worum es ging, und wollte es auch nicht wissen. Sie hatte versucht, ihm ins Gewissen zu reden, aber er wollte nichts hören. Er konnte nicht still sitzen. Er war ständig unterwegs in der Stadt oder andernorts. Er sagte, er kenne alle, aber sie hatte ihm nicht geglaubt. Was waren das für unsaubere Geschäfte? Sie wusste es nicht. Waffen? Sie wusste es nicht. Rauschgift? Sie wusste es nicht. Prostitution? Nein! Winter fragte sie noch einmal. Sie wusste nichts, sah ihm nicht ein einziges Mal in die Augen. Sie schaute hinaus in die Siedlung, in der sie wohnte, durch die sie zweimal hindurchgefahren waren auf dem Weg zum und vom Leichenschauhaus. Sie hatte eine furchtbare Trauer zu verarbeiten. Für Amina, die ältere Frau, die auf die endgültige Nachricht wartete, war es die gleiche Trauer. Oder eine andere, aber genauso entsetzlich.
    Sie saßen in dem einfachen Wohnzimmer. Auf dem Tisch standen Gläser mit Tee und süße Kekse, Nüsse und Sesam, Herr im Himmel, eine Art zwanghafte Gastfreundschaft auch für den, der eine Todesbotschaft überbrachte. Winter fragte nicht nach dem Vater, er wusste, dass der Mann im alten Land verschwunden war und es die Familie dann hierher verschlagen hatte. Es war ein bekanntes Szenario. Auch das weitere Schicksal dieser Familie war ungewiss. Offenbar waren sie auf dem Weg zurück nach Deutschland, wo sie zunächst gelandet waren, eingeschmuggelt in einem Viehwaggon. Die Deutschen kannten sich aus mit Viehwaggons. Nein, zum Teufel, hör auf, Winter, du bist schließlich mit einer Deutschen verheiratet. Schickt die Sachbearbeiter der Einwanderungsbehörde in Viehwaggons einmal Levante tour und retour, obwohl – warum eigentlich zurück? Zum Teufel mit den Bürokraten, denen es an Einfühlungsvermögen und Fantasie mangelte. Vielleicht würden die Leute in dieser Siedlung dann mit einer Torte und Champagner feiern, so wie Angestellte der Einwanderungsbehörde in irgendeinem Teil von Schweden gefeiert hatten, nachdem ihnen die Abschiebung einer Familie geglückt war. Nein, das ist unwürdig, ganz gleich, wer das macht. Und dies sind würdevolle Menschen. Amina zeigt jetzt auf mein Teeglas. Ich nehme einen Schluck und stelle das Glas wieder ab. Wir können gehen. Sie weiß nichts von dem, was vor dem Fenster passiert. Ich sehe die Häuser auf der anderen Seite der Straße. Sie wirken tatsächlich riesig. Ich möchte den Menschen, die hier wohnen, nicht ihre Würde nehmen. Es ist ihr Zuhause. Hier leben sie ihre Leben, wie diese Amina oder wie Frau Ediba Aziz in Hammarkullen, leben hier, solange es ihnen erlaubt wird, sie verlassen ihre Wohnung selten.

26
    I ch habe etwas vergessen. Als wir die Grenze überquerten, die erste Grenze, ist mein Bruder umgekehrt, um etwas zu holen. Ich weiß nicht, was es war. Er hat es nie erzählt. Zunächst ist uns gar nicht aufgefallen, dass er weg war, erst als er zurückkam, merkten wir es. Meine Mutter war sehr böse, sie hatte immer noch Kraft, böse zu werden! Meine Schwester sagte nichts, sie sagte nie etwas.
    Mein Bruder redete damals nicht viel und auch später nicht. Wir versuchten, die Familie zusammenzuhalten. Es war, als würde von allen Seiten an uns gezerrt, als würden wir gleichzeitig in verschiedene Richtungen gezogen. Ich hab einmal gelesen, wie man früher Leute hinrichtete, in Frankreich vielleicht oder auch in Schweden: Man band Arme und Beine des Verurteilten jeweils an einem Pferd fest und peitschte die Pferde in verschiedene Richtungen, sodass der Körper zerrissen wurde. Ich weiß nicht, wo ich das gelesen habe. In einem Buch aus der Bibliothek vielleicht. Oder in einer Zeitung, vielleicht in einer Horrorzeitschrift. Gibt es so was? Es gibt Horrorbücher, ach nein, die heißen Gruselbücher. Ich habe meiner kleinen Schwester eins vorgelesen, aber sie bekam solche Angst, dass sie nichts mehr hören wollte. Das war, als wir hier angekommen waren. Als wir

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