Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
Vom Netzwerk:
Schwelle. Er ging nicht hinein. Von ihm hatten sie keine Spuren im Laden gefunden. Er hatte Boots mit geriffelten Sohlen getragen. Hätte er sich an jenem Morgen dort drinnen bewegt, hätten sie die Spuren sicher entdeckt, auch außerhalb des roten Meeres. Im Meer hatten sie Muster von schlurfenden Schritten gefunden, Öbergs Bewegungsschema. Draußen gab es fünfzig Jahre Schritte, Lage auf Lage, deren Spuren unmöglich gesichert werden konnten.
    Reinholz war offenbar sehr mitgenommen, als Winter mit ihm sprach. Als hätte er das Drama unmittelbar miterlebt. Winter war kein Meister darin, einen Schock nach einem derartigen Erlebnis zu beurteilen. Es war sein Beruf, selbst mit solchen Anblicken konfrontiert zu werden und sie dann zu bearbeiten. Er war lange im Training. Er hasste es, aber er fiel nicht beim ersten Anblick des Entsetzlichen in Ohnmacht und er durfte das Verhalten anderer nicht nach seinem eigenen beurteilen. Reinholz hatte nach der Begegnung mit dem Entsetzlichen getan, was er tun musste, aber Winter glaubte, dass er darüber hinaus noch etwas getan hatte, was er nicht erzählt hatte.

    Der Junge stand hinter der Ecke. Von dem Mann, der dort unten in einem weißen Hemd und Sonnenbrille entlangging, trennten ihn eine Treppe, Gebüsch und ein Teil des Fahrradweges. Die Sonnenbrille veränderte das Aussehen des Mannes kaum. Es war derselbe.
    Der Junge wusste, warum der Große hier war.
    Jetzt ging er auf den Laden zu.
    Der Junge beschloss, ihm nicht zu folgen. Stattdessen fuhr er denselben Weg zurück, den er gekommen war, radelte um die Schulhöfe herum, zum Freizeitheim hinauf, hinunter zum Marktplatz und über die Parkplätze.
    Zu Hause hatte er nichts erzählt.
    Niemand hatte nach ihm gefragt.
    Er glaubte, dass er es vergessen können würde. Bald würde niemand mehr wissen wollen, was er wusste. Der Mann in dem weißen Hemd mit der schwarzen Brille suchte nach anderen. Es ging ja nicht um ihn.
    Sie waren herausgestürmt gekommen.
    Er hatte gezittert und nicht gewagt, sich zu bewegen. Er hatte sich gar nicht bewegen können . Sie waren davongefahren.
    Dann war der andere gekommen.
    Er hatte dagestanden und sich umgeschaut. Er hatte lange dort gestanden.

    Winter stand an der Schwelle. Alle Konturen waren noch sichtbar, alle Waren befanden sich noch in den Regalen, geschmuggelt oder auch nicht.
    Die Musik. Sie war verstummt. Hätte sie noch im Raum geschwebt, wäre das wohl doch etwas stark gewesen. Die Sängerin, die für ihr Kurdistan sang, Lieder für dich, Kurdistan. Das Bild auf dem Cover von der kurdischen Stadt. Die Fontäne, die Berge, Autos, die wie aus einem Land im Osten wirkten. Winter hatte sich die Texte erklären lassen, sie waren schön und wehmütig, aber er wusste nicht, wie sie ihm hätten weiterhelfen können. Das war Volksmusik, die in verschiedenen Teilen der Erde gesungen werden konnte. Sie handelte von Verlust und von der Zeit, die allzu schnell verging. Von Liebe. Liebe gab es überall auf der Welt. Das durfte man nicht vergessen.
    Sein Handy klingelte. Es klang sehr laut hier drinnen.
    »Hallo, Erik.«
    »Bertil, wie geht’s?«
    »Gar nicht schlecht, aber auch nicht besonders gut. Ich war gestern ein bisschen müde.«
    »Das waren wir alle.«
    »Wo bist du?«
    »In Jimmys Laden.«
    »Ich bin unterwegs zu Husseins Wohnung.«
    »Warum?«
    »Aus dem selben Grund, aus dem du in Hjällbo bist, nehme ich an.«

28
    D er Rymdtorget hätte an diesem Mittsommertag auf dem Mars liegen können, so leer war er. Winter fühlte sich wie der erste Besucher, ein Astronaut. Er ging die Aniaragatan in Richtung Westen entlang. Das Kulturhaus war genau wie die Bibliothek geschlossen. Er kehrte um und ging am Lebensmittelladen Fresh Livs vorbei, einem Loch in der Wand, das mit einer robusten Tür gesichert war. Er begegnete keinem Menschen, bis er vor der Kneipe von Bergsjön mit Ringmar zusammenstieß. Ringmar trug eine dunkle Brille, in deren Gläsern Winter sich spiegelte. Der Platz hinter ihm wirkte in diesen Spiegeln wie eine entlegene Wüste. In der Ferne verlor sich die Aniaragatan.
    »Die machen erst in zwei Stunden auf.« Ringmar wies mit dem Kopf auf die Kneipentür. »Ob sich das überhaupt lohnt an so einem Tag?«
    »Ich hab Lust auf was zu trinken«, sagte Winter.
    Ringmar sah sich um. Sie waren immer noch allein auf dem Planeten. »Wenn wir dann noch hier sind.«
    »Ich hab eine große Flasche Mineralwasser im Auto«, sagte Winter.
    »Her damit.«

    Sie zerrissen die Absperrbänder

Weitere Kostenlose Bücher