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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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glaubten, dass wir keine Angst mehr zu haben brauchten, nicht die Art Angst, dass uns jemand entdecken, auf den Boden oder in einen anderen Wagen oder so was werfen würde.
    Wo wir damals waren? Wo wir gewohnt haben? Hier, in diesem Stadtteil, nur in einer anderen Wohnung. Damals gab es hier noch mehr Wald. Ich konnte durch den Wald zur Schule gehen. Es war fast ein Gefühl, als wäre man weit entfernt von allem. Weit weg von allem.
    Und danach … da wollte ich weit weg von allem sein.
    Als wir in diesen schrecklichen Autos rumgefahren wurden. Dieser Geruch.
    Die Männer.
    Ich wollte ihre Gesichter nicht sehen. Ich wollte sie nie mehr sehen. Ich versuchte, nie in die Gesichter zu schauen. Ich schloss die Augen, aber manchmal schlugen sie mich, und dann war ich gezwungen, sie anzusehen.
    Die Gesichter.
    Die Ges …
    Ich muss weinen.
    Ich wollte es nicht erzählen. Ich habe ja von diesem Wald erzählt, durch den ich als Kind gegangen bin. Damals war ich so klein, dabei ist es noch gar nicht so viele Jahre her. Dann wollte ich nur noch sterben. Wir waren so weit gefahren, um nicht sterben zu müssen, und dann kamen wir hierher, und ich wünschte mir den Tod. Den wünsche ich mir auch jetzt. Verstehen Sie das?

27
    W inter brachte Mozaffar Kerim nach Hause, in den westlichen Teil von Gårdsten. Es war nicht weit, einige gewundene Wege über die Berge und Schluchten und sie waren in der Kanelgatan. Hier war es noch stiller, und alles war viel übersichtlicher als im Schwestervorort im Osten, die Häuser waren niedriger, die Straßen schmaler, alles miteinander wirkte wie eine Kleinstadt, an der die Zeit vorübergegangen war. Es gab noch einen Lebensmittelladen, einen Schlüsseldienst, den Salon La Nouvelle und die leeren Fenster des Cafés Limonell.
    Und die Pizzeria Souverän. Sie saßen wieder am selben Tisch, dieselbe Frau brachte ihnen den Kaffee. Sie nickte. Winter war hier jetzt Stammgast. Vielleicht war es sogar dieselbe Tasse. Er und Kerim waren die einzigen Gäste.
    »Sie brauchten nicht viel zu übersetzen«, sagte Winter. »Die arme Frau war ja fast verstummt.«
    »So ist es manchmal, sogar ziemlich oft.«
    »Kannten Sie die Leute?«
    »Nein.«
    »Sie sind Ihnen nie durch eine der kurdischen Organisationen begegnet?«
    »Nein, trotzdem könnten sie irgendwo organisiert gewesen sein.«
    »Sie waren nirgends organisiert, soweit wir wissen«, sagte Winter. »Nirgends.«
    »Aha.«
    Kerim hatte leicht mit den Schultern gezuckt. Es stand jedem frei, irgendwo dabei zu sein oder auch nicht. Sie lebten in einem freien Land.
    »Haben Sie schon mal mit der Polizei hier oben zusammengearbeitet?«
    »Warum wollen Sie das wissen?«
    »Ist das eine abwegige Frage?«
    »Nein, nein. Ich hatte einige Aufträge von der Bezirkspolizei.«
    »Rufen die die Dolmetscherzentrale an?«
    »Ja … so wird es wohl sein. Ich weiß es nicht genau. Da müssen Sie die fragen, wenn Sie wissen wollen, wie das genau funktioniert. Ich bekomme einen Auftrag und dann fahre ich zu der angegebenen Adresse.«
    Winter nickte. Er sah eine kleine Dame mit einem kleinen Hund den Platz überqueren. Die Frau ließ den Hund an einen der dünnen Bäume am Parkplatz pinkeln. Die Sonne strahlte durch das dünne Laubwerk. Die Luft wirkte staubig, wie voller Sand. Sie war gelb, golden. Das verstärkte Winters Gefühl, sich in einer vergangenen Zeit zu befinden. Der Sommer rief immer dieses Gefühl bei Winter hervor. Eine Art Wehmut. Vielleicht war das ethnisch bedingt. Schwedisch. Der flüchtige nordische Sommer bot nicht genügend Zeit, um ihn richtig zu genießen, das freie Spiel der Gedanken wurde blockiert von Reflexionen über seine lächerlich kurze Dauer. Der Sommer ging, wenn er kam. Wie erlebte Mozaffar Kerim den schwedischen Sommer? Nasrin? Sirwa, Azad und Ediba? Alan, Shirin und Bahar? Sie trug den Namen des Frühlings. Wie war der Frühling im Nahen Osten? Vielleicht war es bei dieser Ermittlung auch wichtig, über Derartiges nachzudenken. Für alles offen zu sein, wirklich offen. Nicht der Neigung nachzugeben, fremde Kulturen nach der eigenen zu beurteilen. Sogenannten Ethnozentrismus zu betreiben.
    »Was halten Sie vom schwedischen Sommer?«, fragte er.
    Mozaffar Kerim lächelte wehmütig.
    »Er ist zu kurz.«

    »Haben Sie schon einmal an einem Verhör von Verdächtigen teilgenommen? Bei der Polizei?«
    »Wo?«
    »Irgendwo.«
    »Nein, nicht so richtig … Ich bin mal dabei gewesen, wenn sie einen Jugendlichen gefasst haben oder eine kleine

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