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Rotes Meer

Rotes Meer

Titel: Rotes Meer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Åke Edwardson
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und öffneten die Tür. Im Vorraum roch es trocken und ungelüftet. Es war sehr warm in der Wohnung. Die großen Wohnzimmerfenster gingen nach Westen, und es gab keine schützenden Vorhänge. In dieser Wohnung gab es nicht viel, was für Gemütlichkeit sorgte. Sie wirkte wie ein Durchgangslager. Durchgang wohin? Wer hatte auf den Matratzen auf dem Fußboden geschlafen? Öberg und seine Männer hatten viel Zeit darauf verwandt, nach Spuren zu suchen, die von Jimmys Laden in Husseins Wohnung führten, hatten aber noch nichts gefunden.
    Wenn die Mörder nach dem Mord hier gewesen waren, dann hatten sie ganze Arbeit geleistet, die Spuren zu verwischen. Die Verhöre mit den Nachbarn hatten nichts gebracht. Niemand hatte etwas gehört in der Nacht, kein auffälliges Gerenne im Treppenhaus.
    Und vorher? Auch nichts. Alles war wie immer gewesen in dem leicht geschwungenen Gebäude in der Tellusgatan.
    Sie gingen durch die Wohnung. Staubkörner tanzten im Sonnenlicht. Es sah aus, als könnten sie die Lungen in null Komma nichts füllen und den Erstickungstod herbeiführen. Winter musste sich beherrschen, nicht einem Impuls nachzugeben, ein Taschentuch hervorzuholen und es vor Mund und Nase zu halten.
    Ringmar drehte sich zu ihm um. »Ich glaube nicht, dass er sich noch im Land befindet.«
    »Mhm.«
    »Wir wissen ja nicht mal, wie er aussieht, Erik! Langsam glaub ich, dass ich ein alter naiver Kommissar bin, der die neue Welt nicht mehr versteht, oder das neue Land, muss man wohl sagen.«
    »Du hast dich nur im falschen Stadtteil aufgehalten.«
    »Was? Nein, warte mal, ich meine es ernst, Erik. Ich hatte wirklich keine Ahnung, dass es so leicht ist, inkognito in Schweden zu leben. Und damit meine ich nicht die armen Teufel, die sich jahrelang vor der schwedischen Barmherzigkeit versteckt haben.«
    »Welcher Barmherzigkeit?«
    »Wenn wir ihnen behilflich sind, in ihre Heimatländer zurückzukehren.«
    »Ach so, die Barmherzigkeit.«
    »Also, die meine ich nicht. Ich meine die Kerle, die frei durch die Gegend laufen. Wie dieser Hussein. Er wohnt, lebt, isst, scheißt, jobbt und ist außerdem schwarz, aber wir haben keinen blassen Schimmer, wer er ist.«
    »Dafür gibt es häufig eine Erklärung«, sagte Winter.
    »Klar, meistens sogar eine einleuchtende. Die Umstände sind entsetzlich. Aber dahinter kann man sich auch prima verstecken. Von vorn anfangen, ein anderer werden.«
    Winter nickte.
    »Du könntest auch ein anderer werden, Erik.«
    »Ein verlockender Gedanke!«
    »Wirklich?«
    »Nur mal als Experiment.«
    »Wo würdest du lieber Folter und Tod riskieren, in Götaland oder in Svealand?«, fragte Ringmar. »Es besteht übrigens nicht nur ein Risiko, die Lage ist einfach so. Also angenommen du wirst verfolgt. Sie haben deine Brüder und Schwestern umgebracht. Deinen Vater und deine Mutter. Du hast keine Chance. Du weißt es. Wohin wirst du gehen?«
    »Nach Norrland?«
    »Ich meine es ernst.«
    »Ich auch, aber du hast Norrland nicht genannt.«
    »Norrland haben die Russen geschlossen oder unsere ehemals so freundlichen Nachbarn, die Norweger. Du musst nach Süden, weit, sehr weit nach Süden.«
    »In den Nahen Osten?«
    »Ja, und noch weiter. Weit hinaus in die Wüstenhölle. Aber die Wüsten sind keine Hölle mehr. Darüber sind andere Stürme hinweggezogen. Dort herrschen Freiheit und Demokratie. Da musst du hin, in das gelobte Land.«
    »Ich fliehe also.«
    »Du fliehst. Du zahlst den Schmugglern aus Dalsland oder weiß der Teufel woher ein Vermögen und fährst in einem Transwaggon durch Europa und mit Trawlern über das östliche Mittelmeer. Dann reitest du auf einem Kamel durch die syrische Nacht und dann bist du an der Grenze.«
    »Welcher Grenze?«
    »Natürlich an der Grenze zur Freiheit.«
    »Okay.« Winter schaute in den blauen Himmel vor dem Fenster. Seit Wochen hatte er keine Wolke gesehen, keine einzige, nicht mal ein Federwölkchen. Das war sicher ein Rekord für den schwedischen Himmel.
    »Aber du willst auf keinen Fall das Risiko eingehen, zurückgeschickt zu werden. Du bist nicht sicher, ob du genügend gefoltert wurdest, damit die freien Menschen in dem neuen Land dir auch glauben. Vielleicht bist du nicht genügend gequält worden, um ins Paradies zu gelangen. Was machst du also?«
    »Ich werde ein anderer.«
    »Du bist schon so gut wie ein anderer, oder? Es ist nicht schwer.«
    »Nein.«
    »Du weißt selbst kaum noch, wer du früher warst. Das möchtest du so schnell wie möglich vergessen. Also wirst

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