Rotglut - Kriminalroman
erneut. »Und zwar so, dass ich es verstehe.«
Hannelore Uhlenbruck schwieg. Wie anfangen? Und warum alte Geschichten aufwärmen? Doch sie kannte ihre Tochter gut genug, um zu wissen, dass diese sofort merken würde, wenn sie nach Ausflüchten suchte, und außerdem wollte ihr sowieso nichts einfallen. Sie hätte nie gedacht, dass diese Situation einmal eintreten würde, hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was sie in einem solchen Fall ihrer Tochter erzählen würde. Wozu auch, sie war sicher gewesen, dass Saskias Vater nie wieder in ihrer beider Leben treten würde.
»Ich höre«, forderte Saskia und sah ihre Mutter erwartungsvoll an.
»Also gut, ich werde dir erzählen, was damals alles passiert ist.« Hannelore fuhr sich durch die schwarz gefärbten Haare und begann, ihre Fingernägel zu betrachten. »Du warst grade mal drei Jahre alt, als dein Vater seinen Unfall hatte. Oder besser gesagt, er hat diesen Unfall inszeniert, um aus Deutschland zu verschwinden.«
Saskia schaute ihre Mutter verwirrt an. »Bitte? Wieso das denn? Was hatte er verbrochen?«
Hannelore hob die Hand, um sie in ihrem Redefluss zu stoppen.
»Lass mich einfach erzählen, Kind. Dein Vater war bei einer Sicherheitsfirma angestellt. Er leitete dort die Einsätze bei Großveranstaltungen, also zum Beispiel bei großen Konzerten, Besuchen von berühmten Persönlichkeiten und so. Aber auch, wenn sich Politiker trafen, wie der damalige Bremer Bürgermeister Koschnick, der Willy Brandt empfing. Mitte der Siebziger war ja allerhand los in Deutschland. Helmut Schmidt wurde Bundeskanzler, nachdem Brandt zurückgetreten war, die RAF terrorisierte das Land. Auch in Bremen gab es Sympathisanten. Irgendwann kamen Gelder auf unser Konto, die ganz sicher nichts mit dem Job deines Vaters zu tun hatten, auch wenn er mich dies hat glauben lassen wollen. In was dein Vater verwickelt war, weiß ich nicht. Ich habe nie herausgefunden, woher das Geld kam. Ehrlich gesagt, wollte ich es auch nie wissen. Er hat ja so gut wie nie über seine Arbeit gesprochen. Ich habe eben erwähnt, es war die Zeit der RAF. Auch dein Vater hat schon immer mit der linken Szene sympathisiert. Suchte Begegnungen mit Gleichgesinnten. Ich habe keine Ahnung, was er sich davon versprochen hat. Einmal ist er sogar nach Wolfsburg gefahren, um dort irgendwelche Kontakte zu knüpfen. Ich hatte schon ein ungutes Gefühl, aber er wollte nicht auf mich hören. Zuerst habe ich ja alles für Spinnerei gehalten, aber er hat die Sache sehr ernst genommen. Ich habe wirklich keinen Schimmer, auf was oder mit wem er sich dann doch eingelassen hatte, aber irgendetwas ist verdammt schiefgelaufen. Saskia, du warst ja fast noch ein Baby. Da war es schon besser, wenn ich nichts gewusst habe. Jedenfalls hatte er plötzlich Angst um sein Leben und daraufhin beschloss er unterzutauchen. Es ist ihm offensichtlich gelungen, wie man sieht«, beendete sie ihre Erzählung mit Bitterkeit in der Stimme.
Saskia Uhlenbruck saß sprachlos da. Sie hatte eigentlich all die Jahre nie gefragt, was für ein Mensch ihr Vater gewesen war. Seine Stellung hatte Bertram Uhlenbruck übernommen, als er Hannelore geheiratet und auch ihr, Saskia, seinen Namen gegeben hatte.
Hannelore richtete sich in ihrem Stuhl auf, schenkte sich nach, trank einen Schluck und fuhr fort.
»Er hatte mir, als er verschwand, einen Brief geschrieben mit der Bitte, dir und auch sonst niemandem zu sagen, dass er noch lebte. Gott sei Dank kam der Brief erst nach seiner Beerdigung an, ich glaube, meine schauspielerische Leistung hätte dieser nicht Stand gehalten, mit dem Wissen, dass da jemand ganz anderes im Auto verbrannt ist.« Sie schüttelte den Kopf, nach all den Jahren immer noch ungläubig, was damals alles passiert war. Dann blickte sie ihrer Tochter in die Augen und fuhr fort. »Bevor er verschwand, hat er dir noch ein Weihnachtsgeschenk zukommen lassen. Die Puppenstube. Ich weiß nicht, ob du dich daran erinnern kannst.« Sie sah ihre Tochter fragend an.
»Doch«, antwortete Saskia langsam, »ich kann mich tatsächlich daran erinnern. Ganz aus Holz war die gewesen, und all die kleinen Möbel und Figuren …« Versonnen blickte sie durch die Glastür auf die Terrasse. »Warum hat er dich, uns, nicht mitgenommen?«, fragte Saskia leise.
Hannelore lachte verächtlich auf. »Raimund uns mitnehmen? Daran hätte dein Vater im Traum nicht gedacht. Klar, wie ich schon sagte, dich hatte er sehr lieb, aber mich? Oh, mein Gott, ich war doch nur
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