Rotglut - Kriminalroman
wegräumte. Sie machte sich nicht die Mühe, die Tür hinter sich zu schließen, und rannte die Treppe hinunter.
Als sie schwer atmend auf die Straße trat, taten ihr die Sonnenstrahlen wohl. Dieses Jahr hatte es lange gedauert, bis der Winter vorbei gewesen war und endlich der Sommer ein Einsehen hatte mit Mensch und Tier, die allesamt nach Licht und Wärme gierten. Nun war es herrlich warm und es sollte noch richtig heiß werden, wenn man den Meteorologen Glauben schenken durfte.
Saskia Uhlenbruck wollte noch nicht nach Hause. In den vier Wänden ihres Zwei-Zimmer-Appartements würde sie wahrscheinlich verrückt werden. Sie schlug den Weg in Richtung Bürgerpark ein. Die Praxisgemeinschaft hatte in der Wachmannstraße ihre Räumlichkeiten, und so war es nicht weit bis zum Park. Sie liebte diesen riesigen Landschaftsgarten mit seinen gewundenen Wegen, den Wasserläufen, einem Tiergehege, dem Natur- und Erlebnispfad und seinen Liegewiesen. Selbst reiten durfte man in einem Teil des Parks. In den verschiedenen Lokalen konnte man gut essen und im Sommer wechselten sich Theatervorstellungen, Jazz und klassische Konzerte mit bunten Kinderfesten ab.
Sie spazierte zum Meiereisee und suchte sich auf der Veranda der Meierei einen Platz. Der Blick war einfach grandios, er reichte über das Parkhotel bis in die Stadt hinein, man konnte sogar die Türme des Doms sehen, und mitten auf der Meiereiwiese grasten sieben Schwarzbunte.
Ein Kellner eilte sofort herbei. Saskia Uhlenbruck bestellte ein Glas Grauburgunder und eine kleine Flasche Mineralwasser, nach Essen war ihr nicht zumute und daher winkte sie ab, als er fragte, ob sie denn die Speisekarte haben wollte.
Als sie mit ihrem Glas Wein in der Hand in der Sonne saß, fühlte sie sich etwas ruhiger, doch sie wusste, dass ihr noch ein schwerer Gang bevorstand und die Ruhe nur von vorübergehender Dauer war. Sie zögerte es lange hinaus, den letzten Schluck Wein zu trinken, doch schließlich bezahlte sie und wählte für den Rückweg eine andere Strecke, die sie zu ihrem Auto bringen würde, das sie ganz in der Nähe der Praxis geparkt hatte. Der Weg führte sie über die Hachezbrücke mit ihrem schönen schmiedeeisernen Geländer und sie blieb kurz stehen, um einer Entenmutter mit ihrer riesigen Kinderschar hinterherzublicken. An der Parkallee angekommen, überquerte sie die Straße und ging zu ihrem roten Mini-Cooper, der auf einem der für die Praxis reservierten Parkplätze stand.
Seufzend schloss sie ihr Auto auf und fuhr los. Zunächst hatte sie überlegt, ob sie nicht doch zuerst in ihre Wohnung in Horn fahren sollte. Sie fühlte sich ausgelaugt und erhitzt, und eine kühle Dusche hätte ihr sicher gutgetan, auch, um vielleicht den Kopf wieder klar zu bekommen. Doch dann hatte sie sich entschieden, ohne Umweg ihre Mutter aufzusuchen, die in Oberneuland wohnte.
Saskia Uhlenbruck parkte direkt vor dem hübschen Haus mit den azurblauen Fensterläden. In diesem Haus war sie groß geworden. Bevor sie ausstieg, musste sich Saskia einen Moment sammeln. Dann ging sie entschlossen den gepflasterten Weg zur Haustür, rupfte gedankenverloren eine verblühte Rhododendronblüte ab und warf sie unter den riesigen Busch. Eigentlich hatte sie noch einen Haustürschlüssel für alle Fälle, aber der lag in ihrer Wohnung. Sie klingelte.
»Hallo, mein Schatz«, freute sich ihre Mutter, als sie öffnete. Sie breitete die Arme aus, um ihre Tochter zu umarmen. »Was treibt dich zu mir? Komm mit nach hinten, wir sitzen auf der Terrasse. Es ist so wunder…«, weiter kam Hannelore Uhlenbruck nicht, denn Saskia fiel ihr ins Wort und schob sie einfach zur Seite.
»Ich muss mit dir reden, allein«, sagte sie mit Nachdruck.
Hannelore Uhlenbruck sah ihre Tochter aufmerksam und zugleich etwas ängstlich an. »Ist was passiert?«
»Kann man so sagen«, gab Saskia trocken zurück und wunderte sich über sich selbst, dass sie so ruhig blieb. »Ich hatte gerade eine Begegnung der unheimlichen Art. Schon mal mit einem Toten gesprochen?« Jetzt standen sie in der Küche und lehnten an der Esstheke. Ihre Mutter blickte sie verständnislos an.
»Ach, hallo, Saskia!«, dröhnte Bertram Uhlenbrucks Stimme, der gerade durch die Terrassentür ins Esszimmer gekommen war. Er war auf dem Weg in die Küche, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu nehmen, und hatte die beiden Frauen sprechen gehört. Uhlenbrucks Glatze war durch einen leichten Sonnenbrand gerötet und sein stattlicher Bauch wogte vor ihm
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