Rotglut - Kriminalroman
ein dummes, junges Ding und bin von ihm schwanger geworden. Eigentlich dachte ich schon damals, er lässt mich sitzen, es wäre mehr oder weniger auch egal gewesen, denn ich war ja praktisch alleinerziehende Mutter. Der war doch nie da. Hatte immer nur versponnene Ideen, seine sogenannte Karriere im Kopf. Tja, man hat ja gesehen, wohin ihn das gebracht hat. Ich war irgendwie froh und erleichtert, als er weg war, auch wenn es in den ersten Jahren danach keine gute Zeit für mich gewesen ist.« Hannelores zuvor noch zittrige Stimme war nun klar und selbstbewusst.
Saskia schüttelte den Kopf. »Hast du ihn nicht geliebt? Und wie hast du uns durchgekriegt? Du hattest doch keine Arbeit.«
»Geliebt? Zu Anfang natürlich. Ich war total verknallt in ihn, wollte überhaupt nicht wahrhaben, dass ich für ihn nur ein Klotz am Bein war. Als er weg war, haben mir Freunde mit Geld weitergeholfen, damit ich uns erst einmal über Wasser halten konnte. Die Witwenrente, die ich bekam, war nicht allzu hoch gewesen, wie du dir vorstellen kannst. Dann kam Bertram und der Rest ist Geschichte.« Sie schenkte sich einen weiteren winzig kleinen Grappa ein und trank. »So, jetzt weißt du alles.«
»Wo ist der Brief, den er dir damals geschrieben hat?«, fragte Saskia ihre Mutter.
»Verbrannt.«
»Verbrannt? Weiß Bertram von all dem? Hat er Vater gekannt?«
Die Angst, die Hannelore Uhlenbruck mit jedem Wort von sich abgeschüttelt hatte, kehrte schlagartig wieder zurück. Natürlich hatte Bertram über viele Dinge Bescheid gewusst, aber dass Raimund seinen Tod nur vorgetäuscht hatte, wusste er bis heute nicht. Allein die Vorstellung, dass Bertram das herausbekommen würde, trieb ihr den Schweiß auf die Stirn. Ihre Ehe wäre ungültig, ihr ganzes angenehmes Leben würde nur noch einem Trümmerhaufen gleichen, wenn bekannt werden würde, dass Raimund noch lebte.
»Ja, er hat Raimund gekannt. Aber nur flüchtig. Und er hat nie erfahren, dass dein Vater noch lebt. Und das soll auch so bleiben.« Hannelore sah ihre Tochter eindringlich an. Saskia hatte mittlerweile das Taschentuch in winzige Streifen zerrupft und diese der Größe nach auf dem Tisch angeordnet. Nun knüllte sie das Papier wieder zusammen und schob es in ihre Hosentasche.
»Ich kann das alles gar nicht fassen. Vielleicht sollte ich doch noch einmal mit ihm reden. Er sah elend aus, krank und einsam …« Ihre Stimme brach ab. Dann holte sie tief Luft. »Aber du kannst beruhigt sein, ich werde Bertram nichts davon erzählen.«
Hannelore legte ihre Hand auf die ihrer Tochter und drückte sie sanft. »Danke. Es ist das Beste für uns alle. Weißt du, wo Raimund hingegangen ist, nachdem er bei dir war?«
»Er hat mir die Visitenkarte eines Hotels ganz in der Nähe des Bahnhofs dagelassen. Ich glaube, es ist dieses günstige Designhotel. Wie lange er dort bleiben wird, weiß ich nicht.« Sie kramte in ihrer Handtasche, zog das kleine bunte Kärtchen hervor und reichte es ihrer Mutter.
Hannelore Uhlenbruck warf einen Blick darauf und gab die Karte zurück. Bei sich dachte sie: ›Ich werde dafür sorgen, dass du verschwindest. Du wirst mir nicht noch einmal mein Leben kaputt machen, Raimund.‹
Mai 1972, Wolfsburg
Raimund Stegmann hat einen Entschluss gefasst und Hannelore ihn daraufhin für verrückt erklärt. Er gefährde sie und das Baby. Sie will einfach nicht begreifen, dass sie und Saskia zukünftig in einer besseren Welt leben würden.
›Du bist ein absoluter Spinner. Weltverbesserer haben wir doch schon genügend. Die haben gerade noch auf dich gewartet.‹ Hannelore ist unversöhnlich geblieben. Hat ihm sogar gedroht, ihn zu verlassen, was natürlich lächerlich gewesen ist.
»Raimund, werd vernünftig. Du hast doch einen Bombenjob. Lass andere die Welt retten«, hat Hannelore ihn angefleht.
Ja, Bombenjob. Wenn’s nur so wäre.
In Nordirland haben sie vor ein paar Monaten unbewaffnete Menschen einfach abgeknallt, nur weil sie für ihre Bürgerrechte auf die Straße gegangen waren. Im letzten Jahr sind an der Uni in Kent vier Studenten von der Nationalgarde erschossen worden, nur weil sie gegen die Invasion Kambodschas protestiert hatten. Und in Deutschland – auch nicht viel besser …
Als im letzten Jahr das ›Konzept Stadtguerilla‹ von der Roten Armee Fraktion veröffentlicht worden ist, hat er es verschlungen. Raimund muss zugeben, manches ist ihm auch wenig plausibel erschienen, aber ein paar Sätze haben ihn beeindruckt, er hat sie
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