Rotglut - Kriminalroman
gedauert, bis er endlich Kontakt mit Teschen aufnehmen konnte. Der war zunächst für drei Wochen ins Landesinnere verschwunden. Als er dann wieder aufgetaucht war, war kein Termin zu bekommen gewesen. Erst vor 15 Tagen hatte es dann geklappt.
Er stand Teschen in dessen klimatisiertem Büro gegenüber, schüttelte ihm die Hand und wartete darauf, dass sein Gegenüber ihn wiedererkannte.
»Nun, Monsieur Renard, was kann ich für Sie tun?« Teschens Französisch war fast so gut wie seines, jedoch hört man den harten deutschen Akzent.
»Für mich nichts, aber für meine Tochter«, gab er kurz angebunden zurück.
»Ist sie hier in Schwierigkeiten geraten? Dann ist allerdings die französische Botschaft dafür zuständig.«
Yves musterte ihn einen Augenblick und antwortete in deutscher Sprache.
»Sie erkennen mich nicht, was?« Er sah ihm direkt in die Augen. Teschen runzelte die Stirn, blickte ihn fragend an. Er versuchte, das Gesicht einzuordnen. Alt, zerknittert, krank. Nein, er wusste nicht, wer sein Gegenüber war.
»Wir kennen uns seit über 35 Jahren. Wir hatten denselben Geldgeber.«
Teschen spürte den Sarkasmus in der Stimme des Mannes. Noch einmal blickte er Yves eindringlich ins Gesicht. Dann dämmerte ihm, wer dieser Mann sein musste. In seinen Augen spiegelten sich Angst und Entsetzen.
»Ich dachte, Sie wären tot«, flüsterte er.
»Es spielt keine Rolle, was Sie dachten oder denken. Setzen Sie sich, ich habe Ihnen einen Vorschlag zu machen.«
Und nun sitzt Yves Renard im Flugzeug nach Paris. Morgen früh um 5.55 Uhr Ortszeit wird er am Flugplatz Charles de Gaulle ankommen und direkt im Anschluss um 7.45 Uhr nach Bremen weiterfliegen.
20. Juni 2010, Bremen
Saskia Uhlenbruck stand oder besser saß noch immer neben sich. Bis vor fünf Minuten hatte ihr ein Mann gegenübergesessen, der vor fast 36 Jahren bei einem Autounfall umgekommen war. Zumindest hatte sie das all die Jahre geglaubt.
Sie wollte gerade Feierabend machen, als der Mann in ihrer Praxis auftauchte. Saskia Uhlenbruck war Psychologin und hatte sich einen Raum bei einer Ärztegemeinschaft angemietet. Die Sprechstundenhilfe hatte den Mann einfach zu ihrer Tür geschickt, weil sie wusste, dass Saskia heute keine Termine mehr hatte. Der Fremde hatte angegeben, es handle sich um einen Besuch privater Natur.
Zuerst glaubte sie natürlich nicht, was er ihr erzählte, doch dann zog er ein altes Foto aus seiner Brieftasche. Leicht zerknittert und die Farben verblasst, aber das Foto zeigte eindeutig Saskia an der Hand ihres Vaters Raimund. Sie kannte dieses Bild oder, besser gesagt, ein ähnliches, das in einem Fotoalbum klebte, welches bei ihrer Mutter in einer Schublade lag.
Schlecht sah er aus, todkrank. Auf ihr drängendes Nachfragen gab er schließlich an, dass er an Tuberkulose litt und die Infektion bereits so weit fortgeschritten war, dass keine Aussicht auf Heilung mehr bestand. Nicht nur die Lunge war befallen, sondern auch die Lymphknoten. Der Erreger war multiresistent, was die Behandlung mit teuren Medikamenten langwierig machte und in Afrika sowieso unerschwinglich war. Er sei nur zurückgekommen, um seine Tochter ein letztes Mal zu sehen, sagte er. Dann bat er sie um Verzeihung, versprach, sie würde sich nie wieder Sorgen machen müssen, und ging.
Sie hatte während der ganzen Zeit, in der ihr Vater ihr dies alles berichtete, kaum etwas gesagt, nun bereute sie es beinahe. Aber, was, bitte, hätte sie auch sagen sollen? Und was hatte er gemeint mit ›sie brauche sich nie wieder Sorgen zu machen‹? Sie kannte ihren Vater ja gar nicht. Diesen Part hatte all die Jahre Bertram Uhlenbruck übernommen, ihr Stiefvater. Drei Jahre alt war sie gewesen, als es hieß, ihr Vater wäre bei einem Autounfall ums Leben gekommen. Das hatte ihr zumindest ihre Mutter erzählt. Sie selbst hatte überhaupt keine Erinnerung an diesen Menschen, kannte ihn lediglich von Fotos. Drei Jahre nach dem Tod ihres Vaters heiratete ihre Mutter Hannelore wieder, und Bertram Uhlenbruck war Saskia ein guter Vater.
›Verdammt, Mama, hast du mich vielleicht die ganzen Jahre über angelogen?‹, dachte sie zornig und zugleich tief verletzt. Tränen schossen ihr in die Augen, und sie fühlte, wie sich eine eiserne Faust in ihren Magen krallte. Saskia riss sich zusammen, schnappte ihre Tasche und verließ ihr Zimmer. Ohne einen Abschiedsgruß hastete sie an der Rezeption vorbei, an der eine der medizinischen Fachangestellten noch die Karteikarten des Tages
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