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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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neunzig Jungen, und bis jetzt waren darunter nur vier Poliofälle.«
    »Aber zwei Tote«, rief sie.
    »Trotzdem kann man nicht sagen, dass unter ihnen eine Epidemie wütet, Marcia.«
    »Ich meinte ganz Weequahic. Es ist das am stärksten betroffene Viertel der Stadt. Und dabei ist noch nicht mal August, und das ist der schlimmste Poliomonat von allen - dann könnten es zehnmal so viele Fälle sein. Bitte, Bucky. Gib diesen Job auf. Du könntest hier in Indian Hill die Aufsicht am Badestrand der Jungen haben. Die Kinder sind toll, die anderen Betreuer sind toll, Mr. Blomback ist toll - es wird dir gefallen. Du könntest jedes Jahr die Badeaufsicht machen, und wir könnten jeden Sommer zusammen hier arbeiten. Wir könnten zusammen sein wie ein Paar, und du wärst in Sicherheit.«
    »Ich bin auch hier in Sicherheit, Marcia.«
    »Nein, bist du nicht!«
    »Ich kann meinen Job nicht hinwerfen. Das ist mein erstes Jahr. Ich kann doch diese Jungen nicht im Stich lassen. Es sind großartige Jungen, ich kann sie nicht hängenlassen. Sie brauchen mich jetzt mehr denn je. Ich muss mich um sie kümmern.«
    »Du bist ein guter, hingebungsvoller Lehrer, aber das heißt nicht, dass du im Feriensportprogramm der Stadt unersetzlich bist. Ich brauche dich jetzt mehr denn je. Ich liebe dich so sehr. Du fehlst mir so sehr. Mir wird ganz anders bei dem Gedanken, es könnte dir etwas zustoßen. Was soll es unserer Zukunft nützen, dass du dich in Gefahr bringst?«
    »Dein Vater hat die ganze Zeit mit kranken Menschen zu tun. Machst du dir um ihn auch so viele Sorgen?«
    »Willst du die Wahrheit wissen? In diesem Sommer? Ja. Gott sei Dank sind meine Schwestern auch hier im Feriencamp. Ja, ich mache mir Sorgen um meinen Vater und meine Mutter und alle anderen, die ich liebe.«
    »Und würdest du von deinem Vater verlangen, wegen der Polio seine Praxis zu schließen, die Sachen zu packen und seine Patienten im Stich zu lassen?«
    »Mein Vater ist Arzt. Sich um kranke Menschen zu kümmern, ist sein Beruf. Deiner aber nicht. Dein Beruf ist es, dich um gesunde Menschen zu kümmern, um Kinder, die gesund sind und herumrennen und spielen und Spaß haben können. Du wärst ein wunderbarer Bademeister. Alle hier werden dich lieben. Du bist ein hervorragender Schwimmer, ein hervorragender Turmspringer, ein hervorragender Lehrer. Ach, Bucky, es ist eine einmalige Gelegenheit. Und wir könnten hier oben allein sein«, flüsterte sie. »Im See ist eine Insel. Wir könnten nachts, wenn alle schlafen, mit einem Kanu hinüberfahren. Wir müssten keine Angst haben, dass deine Großmutter oder meine Eltern oder Geschwister im Haus herumschleichen. Wir könnten endlich, endlich allein sein.«
    Er würde sie ganz ausziehen können, dachte er, und sie vollkommen nackt sehen. Sie könnten allein auf einer dunklen Insel sein und nichts anhaben. Und weil niemand sonst da war, könnte er sie so ausgiebig und hungrig liebkosen, wie er wollte. Und er könnte frei sein von den Kopfermans. Er würde nichts mehr von Mrs. Kopferman hören, die ihm hysterisch vorwarf, ihre Kinder mit Polio angesteckt zu haben. Und er würde aufhören können, Gott zu hassen, und dieser Hass war etwas, das ihn zunehmend verwirrte und ihm ein sehr eigenartiges Gefühl bescherte. Auf dieser Insel würde er weit entfernt von all dem sein, was immer schwerer zu ertragen war.
    »Aber ich kann meine Großmutter nicht verlassen«, sagte Mr. Cantor. »Wer soll ihr denn die Einkäufe die Treppe hinauf in die Wohnung tragen? Sie hat Schmerzen in der Brust. Ich muss hier sein. Ich muss die Wäsche waschen. Ich muss einkaufen. Ich muss mich um sie kümmern.«
    »Die Einnemans von unten können sich für den Rest des Sommers um sie kümmern. Und sie würden auch ihre Einkäufe erledigen. Und ihr bisschen Wäsche waschen. Sie würden es gern tun. Sie hütet ja auch ihr Kind. Du weißt doch, wie sehr sie sie mögen.«
    »Die Einnemans sind nett. Aber das ist nicht ihre Sache, sondern meine. Ich kann Newark nicht verlassen.«
    »Was soll ich Mr. Blomback sagen?«
    »Sag ihm, ich danke ihm, aber ich kann Newark nicht verlassen, nicht jetzt.«
    »Ich werde ihm gar nichts sagen«, antwortete Marcia. »Ich werde warten. Du sollst noch einen Tag darüber nachdenken. Morgen Abend rufe ich noch einmal an. Denk darüber nach, Bucky - es wäre ganz sicher kein Davonlaufen vor deiner Pflicht. Es ist nicht feige, Newark in Zeiten wie diesen zu verlassen. Ich kenne dich, ich weiß, dass du das denkst. Aber du bist

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