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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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sprechen, über unsere Verlobung«, sagte er.
    »Was? Über was?«
    »Über unsere Verlobung, Marcia. Darum nehme ich den Job ja. Ich war gestern Abend bei deinem Vater und habe ihn um seine Erlaubnis gebeten. Wenn ich komme, werden wir uns verloben.«
    »Tatsächlich?«, sagte sie. »Aber ist es nicht üblich, zuerst das beteiligte Mädchen zu fragen, auch wenn es so willig ist wie ich?«
    »Ach so? Ich hab so was noch nie gemacht. Willst du meine Verlobte sein?«
    »Aber natürlich! Ach, Bucky, ich bin so glücklich!«
    »Ich auch«, sagte er, und für einen Augenblick gelang es ihm, den Verrat an seinem Engagement und seiner Verantwortung für die Jungen beinahe zu vergessen; es gelang ihm beinahe, das Ausmaß seiner Empörung darüber zu vergessen, dass Gott den unschuldigen Kindern von Weequahic etwas antat, das einer Heimsuchung gleichkam. Solange er mit Marcia sprach, war er beinahe imstande, alles aus einer völlig anderen Perspektive zu sehen und Pläne für ein normales Leben nach der Epidemie zu machen, doch sobald er aufgelegt hatte, waren da seine männlichen Ideale - die Ideale der Wahrhaftigkeit und Stärke, die ihm sein Großvater mitgegeben hatte, die Ideale des Mutes und der Opferbereitschaft, die er mit Jake und Dave geteilt hatte, als sie zum Rekrutierungsbüro gegangen waren, Ideale, nach denen er bereits als Junge gestrebt hatte, um dem Hang seines kriminellen Vaters zu Täuschung und Betrug etwas entgegenzusetzen -, und diese Ideale forderten von ihm, den Kurs zu ändern und für den Rest des Sommers zu der Aufgabe zurückzukehren, die man ihm übertragen hatte.
    Wie hatte er nur tun können, was er getan hatte?
     
    Am nächsten Morgen trug er die Gerätschaften aus dem Lagerraum hinauf auf den Sportplatz, teilte die knapp zwanzig Jungen, die zum Spielen gekommen waren, in Mannschaften ein und ließ sie mit dem Baseballspiel beginnen, bevor er in den Keller zurückkehrte und von seinem Büro aus O'Gara anrief, um ihm zu sagen, dass er zum Ende der Woche aufhören und einen Job als Bademeister in einem Sommercamp in den Poconos antreten werde. Bevor er zum Sportplatz aufgebrochen war, hatte er erfahren, dass es in der Stadt neunundzwanzig neue Poliofälle gab, sechzehn davon in Weequahic.
    »Sie sind heute morgen schon der zweite«, sagte O'Gara. »Drüben, am Sportplatz an der Peshine Avenue, ist so ein Jude, der mich ebenfalls hängenlässt.« O'Gara war ein müder alter Mann, der einen rauhen Ton pflegte, in jedem einen Widersacher witterte und schon seit Jahren die Aufsicht über die Sportplätze organisierte. Der Höhepunkt seines Lebens lag in der Zeit des Ersten Weltkriegs, als er ein herausragender Footballspieler an der Central Highschool gewesen war. Seine Schroffheit war nicht unbedingt verletzend, machte Mr. Cantor aber trotzdem nervös: Er empfand es als peinlich, wie ein Kind nach Worten der Erklärung suchen zu müssen. O'Garas barsche Art war ähnlich wie die seines Großvaters und vermutlich auf ähnliche Art erworben, nämlich auf den harten Straßen des Third Ward. Leider war sein Großvater der letzte, an den er erinnert werden wollte, während er im Begriff war, etwas zu tun, das nicht seinem Wesen entsprach. Er wollte an Marcia, an die Steinbergs, an die Zukunft denken, doch statt dessen war da sein Großvater und fällte sein Urteil, mit einem ganz leichten irischen Akzent.
    »Der Bademeister, den ich im Sommercamp ablösen soll, ist gerade eingezogen worden«, sagte Mr. Cantor. »Ich muss am Freitag dorthin fahren.«
    »Das hab ich jetzt davon, dass ich Ihnen einen so guten Job gegeben habe, obwohl Sie erst ein Jahr aus dem College sind. Ihnen ist doch wohl klar, Cancer, dass Sie sich damit nicht gerade mein Vertrauen erwerben, oder? Und dass ich keine große Lust haben werde, Sie noch mal einzustellen, wenn Sie mich jetzt im Juli im Stich lassen, oder?«
    »Cantor«, berichtigte Mr. Cantor ihn wie jedesmal, wenn sie miteinander sprachen.
    »Mir ist egal, ob irgendjemand eingezogen wird oder nicht«, sagte O'Gara. »Ich mag's einfach nicht, wenn einer einfach so aufhört.« Und dann fügte er hinzu: »Besonders wenn's einer ist, der nicht in der Armee ist.«
    »Es tut mir leid, Mr. O'Gara. Und«, sagte er, und seine Stimme war schriller, als ihm lieb war, »es tut mir leid, dass ich nicht in der Armee bin, es tut mir mehr leid, als Sie sich vorstellen können.« Um die Sache noch schlimmer zu machen, fügte er hinzu: »Ich muss gehen. Ich habe keine andere

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