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Roth, Philip

Titel: Roth, Philip Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nemesis
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Scheunen und niedrige Drahtzäune und auf Pfosten montierte Briefkästen, aber weit und breit keine Polio. Auf dem Kamm bogen sie von der Landstraße scharf auf einen unasphaltierten Weg ab, an dem ein Wegweiser zum Camp stand. Die Worte  C amp  I ndian  H ill und ein Emblem - ein von Flammen umlodertes Tipi - waren anscheinend in das Holz eingebrannt. Dasselbe Emblem befand sich auch auf den Türen des Wagens. Nach ein paar Kilometern über einen gewundenen, rüttelnden Waldweg - der, wie Carl erklärte, nicht ausgebessert wurde, um Ausflügler und Touristen abzuschrecken - lagen plötzlich ein weites grünes Oval und der Eingang des Feriencamps vor ihnen. Bucky hatte ein ähnliches Gefühl wie damals, als er mit Jake und Dave ins Ruppert Stadium gegangen war, um die Newark Bears spielen zu sehen, und - nachdem er aus dem trübe beleuchteten Korridor auf die Treppe zwischen den Sitzplätzen getreten war - inmitten des hässlichsten Teils der Stadt die weite, mit gemähtem Gras bedeckte Fläche vor ihm gelegen hatte. Doch das war ein eingezäuntes Baseballfeld gewesen. Hier dagegen ging der Blick in grenzenlose Weite, und die Zuflucht, die dieser Ort verhieß, war weit schöner als jedes Baseballfeld.
    In der Mitte stand ein Metallmast mit der amerikanischen Fahne und darunter einer Fahne mit dem Emblem des Camps, und es gab auch ein großes, vier bis fünf Meter hohes Tipi, dessen lange Stangen durch das Loch in der Spitze ragten. Das graue Segeltuch war oben mit zwei an Blitze gemahnenden Zickzacklinien und unten mit einer Welle bemalt, die vermutlich eine Bergkette symbolisieren sollte. Zu beiden Seiten des Tipis standen dunkle Totempfähle.
    Unterhalb von Mast, Tipi und Totempfählen lag ein riesiger blauer See. Entlang des Ufers gab es einen mit Bohlen belegten Weg, von dem im Abstand von etwa fünfzehn Metern drei schmale, dreißig Meter lange Badestege in den See ragten; zwei davon waren am Ende mit Sprungtürmen versehen. Das musste der Badebereich der Jungen sein, über den er die Aufsieht haben würde. Marcia hatte ihm gesagt, der See werde aus natürlichen Quellen gespeist. Es klang wie ein Wunder: natürliche Quellen - noch eine Art zu sagen: »keine Polio«. Er trug ein weißes kurzärmliges Hemd und eine Krawatte, und als er aus dem Wagen stieg, spürte er die Sonne auf Gesicht und Armen, merkte aber auch, dass die Luft noch kühler war als in Stroudsburg. Als er den Riemen der Tasche über die Schulter hängte, war er überwältigt von Freude, von verzückter Freude über diesen Neubeginn, von dem überschwenglichen Gefühl: »Ich lebe! Ich lebe!«
    Ein Fußweg führte zu einer kleinen Blockhütte mit Blick auf den See, in der Mr. Blomback sein Büro hatte. Carl hatte darauf bestanden, Buckys große Reisetasche ins Jungencamp zu bringen, zu einem Haus namens »Comanche«, wo er mit einer Gruppe von älteren, fünfzehnjährigen Jungen und ihrem Betreuer wohnen würde. Jedes Haus im Camp trug den Namen eines Indianerstamms.
    Bucky klopfte an die Fliegentür von Mr. Blombacks Büro und wurde von diesem herzlich willkommen geheißen. Mr. Blomback war ein hochgewachsener, schlaksiger Mann mit einem langen Hals, einem großen Adamsapfel und grauen Haarsträhnen, die kreuz und quer über seinem sonnenverbrannten Schädel lagen. Er war etwa Mitte Fünfzig und wirkte in Khakishorts und Polohemd drahtig und extrem durchtrainiert. Von Marcia wusste Bucky, dass Blomberg, als er 1926 in jungen Jahren zum Witwer geworden war, Konrektor an der West Side Highschool in Newark gewesen war und eine vielversprechende Karriere im Schuldienst aufgegeben und mit dem Geld seiner Familie dieses Camp gekauft hatte, um einen Ort zu haben, wo er seinen fünf- und sechsjährigen Söhnen das Wissen und die Fertigkeiten der Indianer vermitteln konnte, die er als Mann, der die Sommer vorzugsweise in der freien Natur verbrachte, so liebte. Die beiden waren inzwischen erwachsen und in der Armee, und das Camp war zu Mr. Blombachs Lebensaufgabe geworden. Er gab den Angestellten Anweisungen und besuchte jüdische Familien in New Jersey und Pennsylvania, um für das Camp zu werben. In seinem Büro, dessen Innenwände ebenfalls aus behauenen Baumstämmen bestanden, hingen hinter dem Schreibtisch fünf indianische Federhauben; Fotos von Jungengruppen aus vergangenen Jahren zierten die anderen Wände, bis auf die Stellen, wo Regale standen, die von Büchern überquollen, allesamt über Leben und Fertigkeiten der Indianer, wie Mr. Blomback

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