Roth, Philip
Evening News. Es stand unter dem Foto eines Quarantäneschildes mit der Aufschrift: »Gesundheitsamt Newark, New Jersey - Zutritt verboten. In diesem Gebäude hat es einen Fall von Polio gegeben. Personen, die gegen die Isolations- und Quarantäneverordnungen des Gesundheitsamtes verstoßen oder dieses Schild unbefugt entfernen, verändern oder unkenntlich machen, werden mit einer Geldstrafe von bis zu 50 Dollar bestraft.« Dieses Bulletin wurde auch täglich im örtlichen Radiosender verlesen und informierte die Bürger über die Anzahl und die Verteilung der Poliofälle in der Stadt und alle anderen wichtigen Entwicklungen. Bisher hatten die Leute nicht das gelesen und gehört, was sie zu lesen und zu hören hofften: Die Epidemie ging nicht zurück - vielmehr hatte die Zahl der Fälle seit dem Vortag zugenommen. Diese Zahlen waren natürlich beängstigend, entmutigend und zermürbend, denn dies waren nicht die unpersönlichen Zahlen, wie man sie sonst in der Zeitung las oder im Radio hörte, keine Zahlen, die dazu dienten, ein Haus zu finden, das Alter eines Menschen zu bestimmen oder den Preis von einem Paar Schuhe zu nennen. Es waren die furchterregenden Zahlen, die das Fortschreiten einer schrecklichen Krankheit bezifferten, und in den sechzehn Bezirken Newarks wurden sie aufgenommen wie die Zahlen der im Krieg gefallenen, verwundeten und vermissten Soldaten. Denn auch dies war ein Krieg, in dem es Tod, Zerstörung, Verdammnis und all die anderen Verheerungen des Krieges gab, es war ein Krieg, der gegen die Kinder von Newark geführt wurde.
Ja, das Meer. Ein paar Tage allein am Strand würden ihm guttun. Zu Beginn des Sommers hatte er vorgehabt, jedes Wochenende ans Meer zu fahren, wenn Marcia fort war, und dort den ganzen Tag Turmspringen zu üben, abends auf der Promenade nach Asbury zu gehen und nach Herzenslust frittierte Muscheln zu essen. Der Keller war feucht und das Duschwasser nicht immer warm, und in den Handtüchern und Laken waren Sandkörner, aber abgesehen vom Speerwerfen war Turmspringen sein Lieblingssport. Zwei Tage am Meerwasserbecken würden ihm helfen, über seinen Kummer wegen der erkrankten Kinder hinwegzukommen, sie würden seine Erregung über Kenny Blumenfelds hysterischen Ausfall und vielleicht auch seinen Zorn auf Gott abklingen lassen.
Als seine Großmutter draußen bei den Nachbarn saß und er den Abwasch gerade beendet hatte und sich in Unterhosen und kurzärmligem Unterhemd an den Tisch setzte, um ein weiteres Glas Eiswasser zu trinken, rief Marcia an. Dr. Steinberg hatte ihm zugesagt, er und seine Frau würden mit Marcia erst nach ihm über die bevorstehende Verlobung sprechen, und so wusste sie noch nichts von dem Gespräch, das Mr. Cantor und Dr. Steinberg am Vorabend auf der hinteren Veranda geführt hatten. Sie rief an, um ihm zu sagen, dass sie ihn liebe und dass er ihr fehle, und um zu hören, ob er sich entschlossen habe, Irv Schlangers Job als Bademeister des Sommercamps zu übernehmen.
»Was soll ich Mr. Blomback sagen?«, fragte sie.
»Sag ihm Ja«, antwortete Mr. Cantor. Und darüber war er ebenso überrascht wie über seine Bitte an Dr. Steinberg, sich mit seiner Tochter verloben zu dürfen. »Sag ihm, ich komme.«
Dabei hatte er eigentlich vorgehabt, dem Rat seiner Großmutter zu folgen und für das Wochenende ans Meer zu fahren, wo er seine Standfestigkeit stärken würde, um sich erholt aufs Neue den Anforderungen seiner Aufgabe zu stellen. Wenn Jake und Dave sich am Tag der Invasion an Fallschirmen auf das von den Nazis besetzte Frankreich stürzten und den alliierten Brückenkopf sicherten, indem sie gegen erbitterten deutschen Widerstand Cherbourg einnahmen, dann konnte er sich doch wohl den Gefahren stellen, die mitten in einer Polioepidemie mit der Aufsicht über den Sportplatz der Chancellor Avenue School verbunden waren.
»Oh, Bucky, das ist ja wunderbar!«, rief Marcia. »Ich kenne dich doch und hatte solche Angst, du würdest Nein sagen. Du kommst, du kommst nach Indian Hill! Ach, ist das schön!«
»Ich muss O'Gara anrufen und es ihm sagen, damit er einen Ersatz organisiert. O'Gara ist der Mann beim Schulamt, der die Sportplätze unter sich hat. Es könnte ein paar Tage dauern.«
»Mach einfach so schnell, wie du kannst.«
»Und dann muss ich mit Mr. Blomback sprechen. Über den Job und das Gehalt. Ich muss die Miete bezahlen und meine Großmutter unterstützen.«
»Das wird kein Problem sein«, sagte Marcia.
»Und dann muss ich mit dir
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