Rotkäppchens Rache
Mähne geschlungen, um Halt zu finden.
Schnee verzog das Gesicht und spuckte aus: Weidenrindenstücke klebten an ihren Lippen. Sie wischte sich den Mund am Zipfel ihres Umhangs ab.
»Ich habe dafür gesorgt, dass du das Zeug ausspuckst«, sagte Talia. »Ich hatte Angst, du könntest ersticken.«
»Danke.« Sie setzte sich auf und versuchte, sich die Steifheit aus dem Hals zu massieren. Ihrem Kopf ging es besser, aber um wieder völlig fit zu sein, müsste sie sich einmal richtig ausschlafen. Sie berührte ihr Halsband und flüsterte einen schnellen Zauberspruch, um Roudette ausfindig zu machen.
»Und?«, erkundigte sich Trittibar.
Schnee schüttelte den Kopf. »Es ist wieder einmal ihr Umhang. Gestern hatte ich Glück, dass ich überhaupt etwas zu sehen bekam. Wer trägt überhaupt so ein schrilles Ding?«
Talia sprang vom Pferd. »Eastpointe liegt direkt vor uns, was bedeutet, dass das Steinwäldchen westlich von hier sein müsste. Unsere Chancen, Rotkäppchen zu überrumpeln, stehen besser, wenn wir zu Fuß weitergehen. Versuch, ob du Charlotte sehen kannst, während ich mit diesen Leuten spreche, damit sie auf die Pferde aufpassen.«
Schnee hielt sich mit beiden Händen am Sattel fest und ließ sich auf den Boden herunter. Charlotte nachzuspionieren würde warten müssen; im Augenblick gab es Dringenderes zu erledigen. Sie überließ es Trittibar, die Pferde zu bewachen, und verschwand im Wald. Sosehr sie diese Ausflüge für die Königin auch genoss, es gab Zeiten, da zog sie es vor, im Palast zu bleiben, wo es warme Mahlzeiten, ein richtiges Bett und vor allem einen ordentlichen Abort gab.
Als Talia zurückkam, durchwühlte Schnee gerade die Satteltaschen nach etwas Essbarem. Als sie sah, was Talia eingepackt hatte, grinste sie. »Du hast dran gedacht!«
»Immer«, antwortete Talia.
Schnee zog den kleinen Korb heraus und klappte den oberen Teil zurück. Bei dem Duft von fein gehackten Feigen, Safran und einem Hauch Nadif, alles in Teig gebraten und mit Karamell glasiert, lief ihr das Wasser im Mund zusammen. Sie brach ein paar Krümel für Trittibar ab und nahm dann selbst einen gewaltigen Bissen.
»Charlotte?«, fragte Talia.
»Schläft, soweit ich es sagen kann«, berichtete Schnee mit vollem Mund. »Roudettes Umhang schirmt Charlotte ab, aber der Zeh gibt mir genug Verbindung, um den Rauch zu durchdringen. Diese Störung bedeutet, dass sie noch zusammen sind. Hast du was zu trinken mitgebracht?«
Talia war schon dabei, sich einige ihrer Habseligkeiten aufzuladen. Sie nahm eine kleine Lederflasche, trank ein paar Schlucke und reichte sie dann Schnee.
»Wie kannst du dieses Zeug nur trinken?« Schnee schnitt eine Grimasse, als ihr der verbrannte, bittere Geruch von kaltem Kaffee in die Nase stieg. Sie kippte ihn hinunter, nachdem sie sich den Mund damit ausgespült hatte, so gut es ging. Immerhin half der Kaffee, das letzte bisschen Müdigkeit aus ihrem Kopf zu vertreiben.
Sie warf Talia die Flasche wieder zu, dann berührte sie einen der kleineren Spiegel an ihrem Halsband und wisperte einen Befehl. Golddraht löste sich vom Glas und der Spiegel fiel in ihre Hand. Er war mit Blattgold eingefasst, sodass ihre Finger vor den scharfen Rändern geschützt waren.
»Was machst du da?«, fragte Talia.
»Roudette erwartet Danielle. Wenn wir uns an sie heranschleichen können, prima. Wenn nicht, dachte ich, Verkleidungen könnten uns helfen, so nah an sie heranzukommen, dass wir sie erledigen können.« Sie starrte in den Spiegel und rief ein Bild Danielles vom Vortag herbei. Während sie dieses Bild im Kopf behielt, befestigte sie den Spiegel wieder am Halsband.
Sie beobachtete, wie ihre Hände sich veränderten, wie sie die blasse Vollkommenheit ihrer eigenen Haut verloren und die leichte Bräune Danielles annahmen. Sie hielt die Linke hoch und bewunderte den goldenen Ring am vierten Finger. »Wenn Danielle dieses Ding noch öfter polieren würde, könnte es einen glatt blenden!«
Talia schürzte die Lippen. »Nicht schlecht! Deine Stimme klingt echt. Aber du redest nicht wie Danielle. Und du bewegst dich ganz entschieden nicht wie sie, doch Roudette dürfte der Unterschied nicht bekannt sein. Aber wie kommst du auf die Idee, dass Roudette sich nicht einfach heranschleichen und dich umbringen wird?«
»Als ob du das zuließest!« Schnee tippte ihr Halsband an. »Außerdem kann sie ohne mein Wissen nicht auf zehn Schritte herankommen. Erinnerst du dich noch an die Abwehrzauber an den Palastmauern?
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