Rotkäppchens Rache
Arzneien?«, wollte Talia wissen. »Wie jede ihren Tribut fordert und wie das Beste für den Körper in den meisten Fällen Ruhe ist, nicht Medikamente?«
»Wann hast du angefangen, mir zuzuhören?«, brummte Schnee.
Es hatte einmal eine Zeit gegeben, da wäre sie ohne Weiteres zu Talia aufs Pferd gestiegen. Auf Missionen für Königin Bea waren sie unzählige Male zusammen geritten. Schnee war ohne Brüder und Schwestern aufgewachsen, aber sie konnte sich nicht vorstellen, mit einer Schwester so vertraut zu sein, wie sie es mit Talia im Laufe der Jahre geworden war. Zwei Prinzessinnen, beide aus ihren Ländern verbannt, denen Beatrice eine neue Heimat gegeben hatte.
Manchmal fragte sie sich, ob nicht das der Grund war, weshalb Beatrice sie ausgesucht hatte: um jede von ihnen mit der Person zu vereinen, die möglicherweise verstand, was die andere verloren hatte. Talia war ihre engste Freundin geworden, aber letztes Jahr hatten sich die Dinge geändert, als Schnee erfahren hatte, dass Talia Gefühle für sie hegte, die über bloße Freundschaft hinausgingen. Keine von ihnen hatte darüber gesprochen, und an den meisten Tagen gab sich Schnee die größte Mühe, so zu tun, als wisse sie es nicht, aber -
»Hör auf, Zeit zu verschwenden!«, sagte Talia. »Selbst wenn du es bis zum Steinwäldchen schaffst, ohne vom Pferd zu fallen, ist das Letzte, was ich gebrauchen kann, eine erschöpfte Zauberin, die mit Magie um sich schmeißt, während ich versuche, gegen eine Mörderin zu kämpfen.«
Schnee streckte ihr die Zunge raus, aber an dem, was Talia sagte, war etwas dran. Sie schloss die Satteltasche und schnallte sie zu. Schnee kapitulierte vor Talias Logik und ging zu ihr hinüber.
Talias Griff war stark und gleichgültig; mühelos zog sie Schnee hoch und setzte sie vor sich in den Sattel. Aus Schnees Gürteltasche waren gemurmelte Proteste zu vernehmen. Mit einer raschen Entschuldigung an Trittibar dafür, dass sie sich beinah auf ihn gesetzt hätte, legte Schnee die Tasche auf ihren Schoß, zog den Umhang fester um sich und nahm die Haare über eine Schulter nach vorn und steckte sie hinein, damit sie Talia nicht ins Gesicht geweht wurden.
»Entspann dich!«, sagte Talia. »Ich hab dir doch gesagt, ich lass dich nicht fallen!«
Schnee lehnte sich zurück. »Wie, bitte, soll ich mich denn entspannen? Das ist ja, als ob man auf einem Waffenständer schliefe!«
Talia schnaubte, fingerte aber an ihrem Gürtel herum, schob einige Messer um die Hüften nach hinten und entfernte ein Paar krummer Wurfklingen aus dem Lederwams, das sie über dem Hemd trug. »Besser?«
Schnee bewegte sich nicht, als Talia um sie herum langte und die Zügel nahm. Talias Körper war angespannter als sonst und ihre Arme lagen steif an Schnees Seiten. Der Sattel war nicht für zwei gemacht, und die Rundung des Leders drückte ihre Körper zusammen.
»Versuch, im Schlaf nicht zu sabbern!« Mit einem Schenkeldruck trieb Talia das Pferd an; auf ihren Zungenschnalzer hin setzte sich auch Schnees Reittier in Bewegung und folgte ihnen.
»Willst du mir kein Schlaflied singen?«, fragte Schnee, indem sie wieder zu ihrer gewohnten Neckerei Zuflucht nahm, um ihr Unbehagen zu verbergen.
»Tut mir leid. Die Art von Liedern, die du magst, klingt nüchtern nie so gut.«
Schnee machte es sich bequem und lehnte den Kopf an Talias Schulter. Worüber machte sie sich eigentlich Sorgen? Welche Gefühle Talia auch für sie empfinden mochte, sie war der letzte Mensch, der jemanden im Schlaf ausnutzen würde. Oder wach, nebenbei bemerkt. Schnee kannte Priester, die mehr flirteten als Talia.
»Du riechst nach Öl«, flüsterte Schnee.
»Kommt von den Messern. Schlaf jetzt!«
Schnee schloss die Augen. »Weck mich, wenn es Zeit ist, Rotkäppchen zu töten.«
Kapitel 4
Schnee rechnete nicht damit, viel Schlaf zu bekommen, aber das rhythmische Klappern der Pferdehufe und die Wärme von Talias Körper bewirkten, dass sie fast augenblicklich eindöste. Zweimal wurde sie von Talia während der Nacht geweckt, um das Pferd zu wechseln.
Als sie zum dritten Mal aufwachte, näherten sie sich einem kleinen Bauernhaus. Schnees Kopf lag in Talias Halsbeuge, Talias Arm um Schnees Taille und hielt sie fest. Der Himmel war dunkel, dem Stand des Mondes nach zu urteilen aber höchstens noch für zwei oder drei Stunden.
Irgendwann in der Nacht war Botschafter Trittibar aus seiner Tasche gekrochen. Jetzt saß er bequem zwischen den Ohren des Pferdes und hatte die Arme in die
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