Rotkäppchens Rache
einfach an ihr vorbei und rief nach ihrem Sohn.
»Talia!« Schnee kam aus der Kapelle gerannt. »Roudette ist auf dem Weg hierher!«
»Das wissen wir schon.« Talia zeigte auf Danielle. »Ihr Sohn hat uns schon gewarnt.«
»Das ist ungerecht!« Schnee blieb stehen. »Ich habe stundenlang an diesen Abwehrzaubern gearbeitet, und Jakob entdeckt sie vor mir?«
»Jakob versteckt sich irgendwo«, setzte Danielle sie ins Bild, während sie auf den Lagerraum zulief. Sie hielt ihre Angst im Zaum, aber Talia konnte die Panik in ihrer Stimme hören. »Kannst du ihn finden?«
»Vielleicht«, sagte Schnee. »Aber er weiß, wo meine Spiegel angebracht sind. Erinnerst du dich noch an das letzte Mal, als er sich vor uns versteckt hat, nachdem er die Schuhe deines Manns in den Ziehbrunnen geworfen hatte? Der Junge ist schlauer, als ihm guttut.«
Talia ging in die Hofmitte; dort drehte sie sich langsam um und horchte, als versuche sie zu verstehen, was Roudette unternahm. Nachdem sie so viel dafür getan hatte, Talia ins Freie zu locken, wieso sollte sie da alles aufs Spiel setzen, indem sie den Palast direkt angriff?
Plötzlich wurden in der Nähe des Tors Schreie und wütendes Knurren laut. Das Bellen eines Hundes verwandelte sich in Gewinsel und erstarb dann ganz. Die Wölfe waren fast da.
Aber was dann? Hineinkommen konnten sie nicht, doch das würde Roudette nicht aufhalten. Die Nord- und die Ostmauer des Palasts erhoben sich direkt von den weißen Klippen, was bedeutete, dass Roudette sich durch die Süd- oder Westmauer Zugang verschaffen müsste.
Talia wartete, während sie im Geist die Geräusche der Wölfe verfolgte. Auf den Mauerkronen hasteten Wachen zum Südtor hin, wo die Tiere am lautesten waren. Talia wandte das Gesicht der Westmauer zu. »Danielle! Die Wölfe sind ein Ablenkungsmanöver! Roudette kommt von Westen! Wir müssen dich hier wegschaffen - jetzt!«
»Nicht ohne Jakob!« Danielle knallte die Tür des Lagerraums zu und drehte sich um. Ihre Augen waren weit offen. »Das Backhaus! Derrick hat heute Morgen Honigkuchen gemacht!«
»Geh!« Talia folgte ihr in einiger Entfernung, ohne die Mauern aus den Augen zu lassen. Dieser verdammte rote Umhang müsste wie ein Banner sein. Wo steckte sie?
»Jakob Theodore Whiteshore!« Danielle rannte auf den flachen Backsteinbau an der Ostmauer zu und riss die Tür auf. Im Innern konnte Talia den jungen Prinzen sehen, der mit mehlbestäubten Kleidern auf dem Boden saß. Danielle hob ihn hoch und nahm ihn in die Arme. »Was habe ich dir darüber gesagt, Nicolette wegzulaufen?«
»Ich soll das nicht machen.« Jakob klammerte sich an seine Mutter. »Da sind Monster und eine gruselige Dame!«
Monster. Talia drehte sich um. »Jakob, wo ist die gruselige Dame jetzt?«
Jakob fing an zu zittern. Er vergrub das Gesicht in Danielles Schulter, zeigte aber auf die Kapelle.
»Ausgeschlossen!«, sagte Schnee. »Ich war gerade noch dort. Roudette hätte nicht an uns vorbeigekonnt!«
Jakob schüttelte den Kopf. Talia ging näher heran und strengte sich an, um ihn zu verstehen. »Nicht Roudette«, murmelte Jakob. »Charlotte. Sie hat Papa Isaac wehgetan.«
»Der Teufel soll sie holen!«, fluchte Talia. »Ich hätte die Schlampe umbringen sollen, als ich die Gelegenheit dazu hatte!«
»Schlampe umbringen!«, kreischte Jakob.
»Vielen Dank, Talia!« Danielle nahm Jakob auf die andere Seite. »Schnee, geh zurück in die Kapelle und -«
»Zu spät.« Talia deutete mit einem Messer auf die Kapellentür, aus der soeben Charlotte gekommen war. Gelbes Feuer brannte auf ihrer Haut, und sie schwankte wie eine Betrunkene. Um ihre Beine wirbelte Rauch wie ein Miniaturstaubteufel. Sie trug immer noch das Eisenarmband, das Vater Isaac angefertigt hatte; es glühte orange, als ob es frisch aus dem Schmiedefeuer käme. »Ich dachte, Charlotte wäre zu Hexerei nicht imstande!«
»Das ist nicht Charlotte.« Schnees Hände zeichneten einen Zauberspruch in die Luft. »Es ist ein Feuerschemen. Ein Elfenwesen.«
»Ich hasse Magie!« Talia warf einen schnellen Blick auf Schnee. »Nichts für ungut. Wie zur Hölle ist das Ding durch die Mauern gekommen?«
Schnees Augen waren weit offen. »Charlotte muss ihn bei sich getragen haben.«
Danielle stellte Jakob auf den Boden und schob ihn zum Backhaus hin. »Geh wieder hinein und sei mucksmäuschenstill! Ich möchte, dass du dich in der Mehltruhe versteckst, bis wir dich holen kommen. Hast du mich verstanden?«
Jakob nickte. »Tschüs
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