Rotkäppchens Rache
für vertrauensvolle Beziehungen. »Du darfst nicht gehen: Du hast einen Schwur geleistet, Beatrice zu dienen. Hast du das vergessen?«
»Beatrice liegt im Sterben«, erwiderte Talia mit ausdrucksloser Stimme. »Ich diene ihr am besten, wenn ich Roudette beseitige und dafür sorge, dass niemand sonst in meine Fehde mit Arathea hineingezogen wird.«
»Was soll ich Jakob sagen?«, fragte Danielle. »Was soll ich ihm antworten, wenn er fragt, warum Tante Tala weggegangen ist?«
»Tiefschlag, Prinzessin!«
»Du hast mir doch beigebracht, wie man kämpft.« Danielle zwang sich zu lächeln. »Talia, bitte gib uns eine Chance. Lass Theodore und Beatrice mit Arathea reden.«
Talia sah an ihr vorbei zur Tür. Schritte hasteten durch den Korridor und blieben draußen stehen. Talia stand auf, das Zeltpflockmesser hinter dem Rücken umklammert.
»Prinzessin Danielle?«
»Nicolette?« Danielle stand ebenfalls auf und öffnete die Tür.
»Die Königin meinte, ich würde Euch hier finden.« Nicolette war außer Atem und ihre verschwitzten Haare ein einziges Durcheinander. Blutige Kratzer zeichneten ihren Hals und ihre Lippen waren geschwollen. »Jakob ist weggelaufen, Hoheit.«
»Was ist mit dir passiert?«, fragte Danielle.
Nicolette berührte ihr Gesicht. »Jakob hat irgendein Versteckspiel gespielt, aber ich fürchte, es hat den andern Angst gemacht, und das wiederum hat ihm Angst gemacht. Urplötzlich schrien die Kinder und rannten in alle Richtungen davon. Ich hab ihn hochgehoben und er hat mit der Stirn ordentlich auf mich eingehämmert.« Sie fuhr sich mit der Zunge über die geschwollenen Lippen. »Ich gab ihn Marguerite, um selbst zu versuchen, die anderen zu zügeln, aber es gelang ihm, sich fortzustehlen.«
»Talia, hilfst du uns suchen?«, fragte Danielle in aller Unschuld. »Für seine Tante Tala zeigt Jakob sich vielleicht.«
Talia kniff die Augen zusammen. »Ihr braucht mich nicht. So viele Ecken und Winkel gibt es nicht, wo ein Junge seines Alters sich verstecken könnte.«
»Was war das für ein Spiel?« Wenn Danielle wüsste, was Jakob spielte, würde es ihr vielleicht helfen herauszufinden, wohin er gegangen war.
»Ich bin mir nicht sicher«, antwortete Nicolette. »Irgendetwas mit ›vor den Wölfen verstecken‹.«
Danielle packte Nicolette am Arm. Sie versuchte, mit ruhiger Stimme zu sprechen, auch wenn ihr Herz hämmerte. »Wie hat Jakob sich benommen? Hat er gelacht oder wirkte er ernst?«
»Gelacht hat er nicht.« Nicolette machte große Augen und blickte Danielle besorgt an, als sie ihrer Reaktion gewahr wurde. »Was ist, Prinzessin?«
»Er ist Beatrices Enkelsohn. Es wäre nicht das erste Mal, dass er Zeichen ihrer Gabe zeigt.« Danielle fing an zu laufen. »Schafft die Kinder nach drinnen! Alle!«
Talia war bereits neben ihr in Schritt gefallen. »Es ergibt keinen Sinn, dass Roudette hierherkommen sollte. Sie weiß, dass sie den Palast nicht betreten kann, ohne erwischt zu werden.«
Danielle eilte die Treppe hoch. »Wie lang würde Roudette brauchen, um vom Steinwäldchen zum Palast zu kommen?«
Als sie auf den Hof hinaustraten, erstarrten sie: Das Heulen drang nur schwach zu ihnen, sorgte aber dafür, dass Danielle eine Gänsehaut bekam.
Talia fluchte. »Gar nicht lang!«
Kapitel 6
Wenn es etwas gab, was Talia helfen konnte, wieder einen klaren Kopf zu bekommen, dann war es die Aussicht auf einen Gegner, mit dem sie kämpfen konnte. Fast war sie Roudette dankbar für die Ablenkung.
Sie stellte sich vor Danielle und überprüfte den Hof. Die Wölfe klangen, als liefen sie durch die Straßen der Stadt. Man hörte auch Schreie. Die Palastangestellten blickten verwirrt um sich.
»Geht rein!«, rief Talia und schob die ihr am nächsten stehende Frau zur Tür hin. Sie winkte, um die Aufmerksamkeit der Wachen auf der Mauer auf sich zu lenken; als das nicht funktionierte, schnappte sie sich ein Stück Stein vom Fuß der Mauer und warf es. Es prallte scheppernd gegen einen Helm.
»Was in Gottes Namen -« Der Wachposten straffte sich, als er Danielle sah.
»Verriegelt die Tore!«, rief Talia. »Überzeugt euch davon, dass der König und die Königin in Sicherheit sind!«
Er wollte anfangen zu diskutieren, aber ein erneuter Blick in Danielles Miene ließ ihn in Richtung Tore lostraben.
»Du gehst auch hinein, Prinzessin!«, forderte Talia sie auf.
»Jakob ist hier draußen.« Danielle hielt sich nicht damit auf, Talias Meinung mit einem bittenden Blick zu ändern: Sie schob sich
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