Rotkäppchens Rache
verwandelten sie von einer Palastangestellten aus Lorindar in eine gewöhnliche, schmutzige Bäuerin.
Sie erstarrte, als einer der Kameraden des Mannes vorbeikam, der nur ein kleines Stück weiter weg pfeifend damit beschäftigt war, den Bewässerungsgraben mit einer Schaufel vom Schlamm zu befreien. Talia wartete, bis er seines Weges gegangen war, dann schleifte sie den Körper des Landarbeiters tiefer ins Feld. Sie flüsterte in ihr Armband, ein Gegenstück zu dem, das Danielle trug. »Schnee, ich habe hier einen Körper, um den du dich kümmern musst!«
»Jetzt schon?«
»Ich könnte ihn in den See kippen und ertrinken lassen, aber Danielle würde sich wahrscheinlich beschweren.« Sie zog den Ärmel herunter und ging auf die Straße zu, wobei sie den anderen Landarbeitern problemlos auswich.
Ihr ganzer Körper war angespannt, als sie, sich gegen alte Erinnerungen wappnend, ins Freie trat. Aus der feuchten Erde unter ihren Füßen wurde Stein. Die Luft war köstlich trocken in ihren Nasenlöchern und führte den süßen Geruch von frisch bestellter Ackerkrume mit sich. Das Getreide würde noch Monate brauchen, bis es reif war, aber irgendwie roch die Luft jetzt schon grün und lebendig.
Die Straßen in die Stadt waren wie breite Steinmauern gebaut, die den See durchschnitten. Es hieß, dass tief unten Torbogen dem Wasser erlaubten, ungehindert durchzufließen, aber nur wenige Menschen waren so verrückt, hinabzutauchen und sich mit eigenen Augen davon zu überzeugen. Manche behaupteten, seltsame Kreaturen würden in den Tiefen des Sees hausen.
Wie der Angelhaken eines Fischers brachten die kleinsten Dinge Erinnerungen aus ihrer Vergangenheit an die Oberfläche. Etwa das Schilf, das am Wegrand wuchs, als sie den See überquerte - die gleichen schwertartigen Halme waren in den Weihern daheim in ihrem Schloss gewachsen. Als Kind hatte sie gern im Wasser gespielt und die wächsernen roten Blüten für die Teetassen ihrer Mutter gepflückt.
Das Seewasser plätscherte gegen die Steine zu beiden Seiten der Straße und erinnerte sie an das letzte Mal, als sie hier gegangen war. Es war damals Nacht gewesen und auf den Kanälen hinter ihr hatte sich das Sternenlicht gespiegelt.
Sie hatte nicht vorgehabt, Prinz Jihab zu töten. Von dem Moment an, als sie aus der Hecke getaumelt war, war es gewesen, als stünde ein Teil von ihr noch unter dem Einfluss des Elfenfluchs und schliefe. Im Schock wankte sie durch die folgenden Tage, ohne zu wissen, ob ihr gegenwärtiges Dasein real oder ein Albtraum war. Ihre Familie war fort, in ihren Ohren hallten die Schreie ihrer Söhne wider, und dann waren Jihab und Lakhim angekommen, um sie zurück in ihren Palast zu bringen.
Wie lange wäre sie wohl in diesem Trancezustand geblieben, wenn Jihab nicht in jener Nacht an ihr Bett gekommen wäre mit der Absicht, sie noch einmal für sich zu fordern? In gewisser Weise waren die Geschichten wahr. Prinz Jihab hatte sie geweckt. Nicht mit einem Kuss, sondern indem er ihren Körper durch den Schock wieder in Gang gesetzt hatte.
Sie erinnerte sich daran, wie sie sich aus dem Palast fortgestohlen hatte, indem sie aus dem Fenster geklettert und sich immer an die Mauern gehalten hatte. Sie schaffte es bis zum Stadtrand, ehe die Alarmglocken zu läuten begannen. Dort fand sie einen Bauern, der Vieh zum Transport nach Jahrasima vorbereitete, vier Tagesreisen weiter südlich. Für eine sichere Passage musste sie sich von allem Gold trennen, das sie bei ihrer Flucht mitgenommen hatte.
Dreimal wurden sie auf dem Weg nach Jahrasima angehalten, aber niemand entdeckte sie. Trotz der Ermordung ihres Prinzen war kein Soldat loyal genug, einen Wagen voller Kuhdung zu durchwühlen, um das Mädchen zu entdecken, das sich darunter zusammengekauert hatte, geschützt von einer schweren Persenning und durch die Ritzen im Wagenboden atmend.
Talia schauderte. Der widerliche Geruch hatte noch tagelang in ihren Haaren und auf ihrer Haut gehaftet, egal wie angestrengt sie geschrubbt hatte.
Blaues Licht blühte im Wasser neben ihr auf. Als Talia nach unten schaute, sah sie eine leuchtende Schlange durchs Schilf schwimmen. Eine Jaan, ein Elfenwesen, das im Wasser lebte. Man sagte von ihnen, dass sie dem, der sie fütterte, Glück brachten, aber Talia hatte nichts, was sie ihr hätte zuwerfen können.
Sie hatte ohnehin nie etwas auf diesen Aberglauben gegeben. Wahrscheinlicher war es, dass die Jaan zu füttern eine Dressurmethode war. Diese Wesen bewachten die
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