Rotkäppchens Rache
verloren, als sie die Stadt betrat, aber das ist sie.«
»Ich hoffe, sie hat etwas zu essen mitgebracht!«, sagte Roudette.
Talia war in eine schwarze Robe gekleidet. Ein dazu passendes Kopftuch bedeckte ihr Gesicht und ließ nur die Augen und einen schmalen Streifen Haut frei. Über der Schulter trug sie ein zusammengerolltes Bündel. Sie blickte um sich, als sie durch das Feld hastete, aber die meisten Arbeiter hatten bereits Feierabend gemacht.
»Du siehst düster aus«, meinte Schnee.
»Alle Schwestern tragen Schwarz.« Talia zog das Kopftuch übers Kinn herunter. »Jeder kann sich dem Tempel anschließen, ob arm oder reich. Ganz egal, welche Kleider du anhast, sobald du dein Gelübde ablegst, ist es kein Problem, sie schwarz zu färben.«
Schnee schnitt ein Gesicht. »Schwarz lässt mich zu blass aussehen.«
»Ihr werdet auch gar keine Schwestern sein.« Grinsend warf Talia ihr das Bündel zu. »Ihr werdet Landarbeiterinnen sein. Arme, verletzte Landarbeiterinnen.«
Schnee förderte einen weiten Kasack mit langen Ärmeln ans Licht. Ein breites Kopftuch folgte. »Zauberei wäre einfacher.«
»Hast du aratheanische Bauernkleidung schon mal gesehen?« Talia nahm einen zweiten Kasack und hielt ihn ins Mondlicht. »Könntest du die roten und gelben Stammesmuster auf dem Kragen nachmachen? Die Ziegenhornknöpfe? Nicht zu vergessen den leinenen Unterkasack! Irre dich nur bei einem Detail, und du könntest dich vor der Raikh wiederfinden!«
»Der Raikh?«, fragte Danielle.
»Die Herrscherin der Stadt.« Schnee hielt die Kleider vor ihren Körper. Sie waren schwerer, als sie erwartet hatte. »Das Äquivalent eines Lords bei uns zu Hause.«
»Die Raikh von Jahrasima heißt Rajil.« Talia spuckte den Namen förmlich aus. »Eine eifrige Verehrerin der Elfen und ein verzogener Fratz. Sie regiert Jahrasima seit mehr als zehn Jahren. Ihre Familie hat Lakhims Ansprüche auf den Thron unterstützt, und im Gegenzug für diese Unterstützung gab Lakhim ihr Jahrasima. Wenn es nach Rajil ginge, würde ganz Arathea das Kirchenrecht vor allem anderen befolgen.«
»Sieh dich also vor, Hexe!«, warf Roudette ein. »Die Siqlahgesetze verfolgen die, die Menschenzauberei praktizieren, mit unversöhnlicher Härte.«
Danielle war bereits dabei, die Verkleidung anzulegen, die Talia mitgebracht hatte. Sie warf einen Blick auf Schnee. »Siqlah?«
»Das Gesetz Gottes, bekannt gegeben von der Elfenkirche«, erklärte Schnee. »Rechtlich gesehen besitzt die Kirche nur beratende Gewalt, aber heutzutage ist das nur noch eine nominelle Unterscheidung. Menschenrecht, durchgesetzt von Königin Lakhim, heißt Siqkhab. Die Elfen sind an ein ›höheres‹ Recht gebunden, das als Siqjab bekannt ist.«
Danielle hielt eins der Kopftücher hoch. »Auch wenn wir die tragen, wird jeder, der genauer hinsieht, merken, dass wir keine Aratheanerinnen sind.«
»Darum kann ich mich kümmern«, sagte Schnee. »Eine Illusion, um Haut und Augen dunkler zu machen.«
Roudette rümpfte die Nase, als sie eins der Kopftücher aufhob. »Mein Umhang wird eure Illusionen nicht zulassen.«
»Das habe ich mir schon gedacht«, erwiderte Talia und griff sich eine Hand voll langer Lappen. »Ihr seid heute Abend alle verletzt worden, und ich bringe euch zur Heilung in den Tempel. Roudette, dein Gesicht wurde übel zugerichtet.« Sie warf ihr die Lappen zu. »Sag Bescheid, wenn du irgendwelche Hilfe brauchst, um es glaubhafter zu machen.«
Roudette berührte sich an der Wange, wo Talias Messer sie geschnitten hatte. Aus der Wunde sickerte immer noch Blut. Sie spuckte aus, fing aber an, die Lappen um ihr Gesicht zu wickeln.
»Mach das nicht noch einmal!«, sagte Talia, ohne aufzublicken. »Obszönität wird dir nicht dabei helfen, dich unauffällig unter die Einheimischen zu mischen.«
»Obszönität?«, wunderte sich Danielle.
Schnee machte die Geste des Ausspuckens. »Das Wasser des Körpers vergeuden.« An Talia gewandt fragte sie: »Was ist das für ein Ort, zu dem du uns bringst?«
»Der Tempel der Hecke.« Talia stieß mit dem Finger auf die Kleider in Schnees Hand. »Falls du jemals fertig wirst.«
Schnee streckte ihr die Zunge raus, bevor sie auf die Seite ging, um sich umzuziehen. Als sie zurückkam, half Talia Danielle gerade, das Kopftuch richtig anzulegen.
Schnee flüsterte einen schnellen Zauberspruch, woraufhin Danielles Haut so dunkel wie die der Einheimischen wurde und ihre Haare, während Talia noch damit beschäftigt war, sie zu einem Knoten
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