Rotkäppchens Rache
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»Ich bin sicher, du hattest keine andere Wahl«, sagte Talia scharf. »Ebenso wie du keine andere Wahl hattest, als Zestan deine Stadt angreifen zu lassen.« Sie drehte sich um und ließ ihre Blicke über den Garten schweifen, bis sie einen weißen Schakal entdeckte, der neben einem Strauch überdimensionierter goldener Rosen stand. Es schnürte Talia die Brust zusammen, als sie den Schakal prüfend betrachtete und versuchte, Faziya in seinen blauen Augen zu erkennen. Die übergroßen Ohren des Tiers zuckten, als es seinerseits Talia ansah.
»Es wird dir nichts geschehen«, wisperte Danielle. »Bitte komm zu uns.«
Auf seinen langen Beinen trabte das hagere Tier auf sie zu.
»Sie erinnert sich nicht an dich«, sagte Rajil.
»Sie wird.« Talia streckte eine Hand nach dem Schakal aus. Nach Faziya. Langsam trat Faziya näher und schnupperte vorsichtig daran. Talia fing an, ihr mit den Fingerspitzen übers Fell zu streichen, aber Faziya sprang verängstigt zurück.
Danielle redete weiter in leisem, beruhigenden Tonfall auf sie ein.
»Was ist mit Zestan?«, fragte Talia, ohne Faziya aus den Augen zu lassen.
»Selbst wenn alles, was du sagst, wahr ist, ich kann dir nicht helfen«, entgegnete Rajil mit zitternder Stimme. »Ihre Botschaften kommen durch Jhukha; sie könnte überall in Arathea sein.« Sie legte die Hände über der Brust zusammen, schloss die Augen und begann zu beten.
Talia erkannte das Gebet, eine Bitte um Erlösung und Wiedergeburt. Rajil rechnete damit, hier zu sterben, durch Talias Hand.
»Du denkst, mit deinem Tod verdienst du dir einen Platz im Himmel?«, fragte Talia. »Dass du vielleicht sogar als eine der ›Gesegneten Rasse‹ wiedergeboren wirst als Lohn für deinen Glauben? Für den du deine Königin, dein Volk und sogar dein Leben opfern würdest? Und das alles, um eine Deev zu beschützen.«
»Was verlangst du denn von mir?«, fragte Rajil herausfordernd. »Wenn ich recht habe, ist Zestan die Rettung für Arathea. Wenn du recht hast, ist sie eine Deev und ich verrate sie … nein. Selbst wenn ich wüsste, wo sie zu finden ist, könnte ich es dir nicht verraten.«
Talias Wut schwand langsam. Sie wandte sich an Schnee. »Kannst du den Fluch brechen, durch den die Tiere festgehalten werden?«
»Der Fluch macht sie zahm, aber er sperrt sie nicht hier ein«, entgegnete Schnee. »Sie könnten jederzeit gehen, aber ihnen fehlt einfach der Wunsch.«
»Gut!« Talia nahm ihre Waffen wieder an sich.
Als sie das letzte Messer wieder in seine Scheide steckte, ergriff Rajil erneut das Wort. »Wenn du Jahrasima wirklich beschützen willst, dann liefere dich und deine Freundinnen aus. Wenn du fliehst, dann wird die Wilde Jagd wegen dir wiederkommen - und was sie an Zerstörung mit sich bringt, wird auf deiner Seele lasten, nicht auf meiner.«
»Du hast deine ohnehin schon an die Elfen verkauft.« Talia spuckte auf den Boden und drehte sich zu Danielle um. »Wir brauchen die Hilfe der Tiere, um zu entkommen.«
»Sie sind zu fügsam«, wandte Danielle ein. Wie zum Beweis trottete eine Löwin unter einer Baumgruppe heraus, ließ sich auf die Seite plumpsen und begann so laut zu schnurren, dass Talia es über den halben Garten hinweg hören konnte.
»Meine Leute wissen von eurem Eindringen«, sagte Rajil. »Selbst wenn ihr uns alle umbringt, werdet ihr nie von diesem Ort entkommen.«
Bevor Talia etwas darauf erwidern konnte, trat eine der Wachen vor und verneigte sich tief. »Ich werde euch eskortieren. Mein Name ist Naheer el-Qudas; ich diene der Raikh seit sechs Jahren. Wenige hier werden mich infrage stellen.«
»Verräter!« Was immer Rajil sonst vielleicht noch sagen wollte, es ging in einem erschreckten Quieken unter, denn Roudette riss ihr mit den Zähnen die Haut von der Nasenspitze ab.
Talia musterte den Mann, der gesprochen hatte. Er war älter als die anderen, und die weiße Schneckenverzierung auf seinem Brustharnisch zeichnete ihn als höherrangigen Soldaten aus. Sie versuchte, in seiner Miene zu lesen. Eine krumme Nase und abgebrochene Zähne zeigten, dass er seinen Teil an Schlägereien mitgemacht hatte, aber Anzeichen für Betrug sah sie keine. »Weshalb solltet Ihr uns helfen?«
»Das Haus meines Vaters ist von der Wilden Jagd zerstört worden. Meine Mutter wurde heute Morgen in den Tempel gebracht; sie wird vielleicht nicht überleben.« Naheer warf einen Blick auf Rajil. »Ihr habt angeboten, Jahrasima vor der Wiederkehr der Wilden Jagd zu schützen. Seid Ihr wirklich,
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