Rotkäppchens Rache
wirbeln, die sie Naheer abgenommen hatte.
»Streitkolben«, erklärte sie, als sie Danielles fragenden Blick bemerkte. »Eine Aussparung im Schaft des Kurzspeers passt auf diesen Haken am Heft der Keule, sodass man sie auch als Speerschleuder benutzen kann.« Sie grinste. »Du würdest staunen, welche Reichweiten man damit erzielt.«
Zum ersten Mal, seit sie erfahren hatte, wer Roudette angeheuert hatte, schien Talia wieder sie selbst zu sein. Lächelnd nahm Danielle es zur Kenntnis.
»Wohin als Nächstes?«, fragte Schnee. »Du weißt, dass Zestan uns verfolgen wird.«
»In die tiefe Wüste«, antwortete Talia, während sie ihr Pferd antrieb. »Es gibt ein altes Kha’iida-Sprichwort: Keine Beute ist so gefährlich wie die, die selbst Jagd auf den Jäger macht.«
Kapitel 15
Anfangs trieben sie die Pferde aufs Äußerste an, um Jahrasima schnell so weit wie möglich hinter sich zu lassen. Die Landschaft veränderte sich zusehends, als sie den See verließen. Hügel von der Farbe zu lange gebackener Brötchen mit graugrünen Tüpfeln aus Buschwerk erstreckten sich vor ihnen. Erodierte Felsformationen ragten aus der Erde wie sonnengebleichte Inseln in einem Meer aus Sand.
In einiger Entfernung vom See war die Luft merklich trockener. Talia rückte ihre Sheffeyah zurecht, indem sie mit automatischen Bewegungen das Kopftuch über Mund und Nase zog und es dann zum Schutz noch einmal um Hals und Kopf wickelte.
Dies war das echte Arathea, tödlich und schön und unversöhnlich, und doch achtete sie wenig darauf. Faziya war noch nervöser geworden und saß keinen Moment still in Danielles Schoß. Talia musste immer wieder daran denken, wie Faziya im Garten der Raikh vor ihrer Berührung zurückgeschreckt war.
Es kam ihr in den Sinn, dass Rajil vielleicht gelogen und sie irgendeine andere arme Seele hatte mitnehmen lassen. War das der Grund, weshalb Faziya sie nicht erkannte? Die echte Faziya wurde vielleicht immer noch in Rajils Villa gefangen gehalten - oder Schlimmeres. Talia drehte die Zügel in den Händen herum. Rajil besaß nicht den Mumm, um zu lügen, nicht mit Roudettes Reißzähnen an der Kehle.
Sie verlangsamte das Tempo zu einem Trab. »Wir brauchen einen Unterschlupf. Rajils Leute werden uns verfolgen - die von Lakhim wahrscheinlich auch. Falls die Königin bis jetzt noch nicht von unserer Anwesenheit erfahren hat, so wird sie es sehr bald.«
Schnee brachte ihr Pferd zum Stehen. »Wo genau gehen wir von hier aus eigentlich hin?«
»So weit im Voraus hatte ich nicht geplant«, gab Talia zu.
Danielle kletterte von ihrer Stute und griff dann nach oben, um auch Faziya herunterzuholen. »Mal sehen, was ich finden kann.«
Faziya huschte weg, als auch Talia vom Pferd sprang und sich streckte. Sie versuchte, Faziyas Angst nicht persönlich zu nehmen. Das gelang ihr zwar nicht, aber sie bemühte sich weiter.
Ein Staubfilm lag über ihrem Mund und ihrem Hals. Sie holte einen Wasserschlauch aus der Satteltasche und nahm einige lange Schlucke, bevor sie ihn Schnee zuwarf.
Ein reißendes Geräusch lenkte ihre Aufmerksamkeit auf Roudette, die dabei war, sich das Wolfsfell, das bereits durch einen langen Riss entlang der Brust geteilt wurde, mit den Zähnen vom Körper zu ziehen. Knurrend grub sie die Zähne ins Fell und zerrte noch heftiger daran, bis etwas Rotes aufblitzte. Zuerst dachte Talia, es sei Blut, bis ihr klar wurde, dass es sich um die andere Seite von Roudettes Umhang handelte.
Finger stießen durch den Ballen einer Pfote. Roudette führte die Pfote zum Mund und zerrte das Fell mit den Zähnen nach hinten, und bald waren Hand und Arm davon befreit. Sie packte den Riss unterhalb des Kinns und zog nach oben. Sie drückte den Kopf höher, und ihr eigenes Gesicht schob sich durch die Öffnung am Hals.
Roudette schnappte nach Luft, und mit diesem Atemzug schien der Wolf zusammenzubrechen und war wieder nichts weiter als ein Fell. Immer noch keuchend drückte Roudette sich auf die Knie hoch, wendete den Umhang um und schüttelte den ärgsten Staub heraus, bevor sie ihn wieder über den Schultern festband.
»Du wirst in diesem Ding noch zerfließen«, bemerkte Schnee und warf ihr den Wasserschlauch zu.
»Ist mir auch schon aufgefallen.« Roudettes Lippen verzogen sich zu etwas, was man mit gutem Willen als Lächeln hätte auslegen können. »Wenn ich es nicht trage, verlieren wir die Wohltaten seiner Magie, und eure Elfenfreunde werden uns finden, bevor du auch nur einen Zauberspruch vom Stapel
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