Rotkehlchen
hätten. Mein Gott, jetzt begann er tatsächlich schon, die Terminologie dieses Scheißprogramms von TV3 zu übernehmen. So erging es einem, wenn man jeden Abend fünf Stunden vor der Glotze hing. Aber wenn er daheim in der Sofiesgate vor dem Fernseher saß, ging er wenigstens nicht in Schrøders Restaurant.
Er klopfte zweimal unter dem Türschild von Bjarne Møller, PAC.
»Komm rein!«
Harry sah auf die Uhr. Fünfundsiebzig Sekunden.
Møllers Büro, 9. Oktober 1999
7 Dezernatsleiter Bjarne Møller hing in seinem Stuhl und seine langen Beine ragten unter dem Schreibtisch hervor. Er hatte seine Hände hinter dem Kopf gefaltet, einem wahren Prachtexemplar, das frühere Rassenforscher als Langschädel bezeichnet hätten. Zwischen Ohr und Schulter klemmte ein Telefonhörer. Die Haare waren kurz geschnitten, eine Art Fassonschnitt, den Hole erst kürzlich mit Kevin Costners Frisur in Bodyguard verglichen hatte. Møller hatte Bodyguard nicht gesehen. Er war seit fünfzehn Jahren nicht mehr im Kino gewesen, denn das Schicksal hatte seine Tage mit zu wenig Stunden ausgestattet, ihn selbst aber mit etwas zu viel Verantwortungsgefühl sowie zwei Kindern und einer Frau, die ihn nicht immer verstanden.
»Dann machen wir das so«, sagte Møller jetzt, legte den Hörer auf und sah Harry über den Schreibtisch hinweg an, auf dem sich Akten, überfüllte Aschenbecher und Papptassen türmten. Auf der Tischplatte markierte ein Foto von zwei Jungengesichtern mit Kriegsbemalung irgendwie das logische Zentrum in all dem Chaos.
»Da bist du ja, Harry.«
»Hier bin ich, Chef.«
»Ich war bei einer Besprechung im Außenministerium für das Gipfeltreffen im November hier in Oslo. Der amerikanische Präsident kommt … aber du liest ja Zeitung, Harry. Kaffee?«
Møller war aufgestanden und mit großen Schritten zu dem Archivschrank gegangen. Auf einem dicken Stapel Akten thronte eine Kaffeemaschine und spuckte eine zähflüssige Substanz aus.
»Danke, Chef, aber …«
Es war zu spät und Harry nahm den dampfenden Becher entgegen.
»Ganz besonders freue ich mich auf den Besuch des Secret Service, zu dem wir sicher ein herzliches Verhältnis bekommen, wenn wir uns erst einmal richtig kennen gelernt haben.«
Ironie war nicht gerade Møllers Stärke. Das war aber nur eine der Eigenschaften, die Harry an seinem Chef so schätzte.
Møller zog die Knie an, bis sie von unten gegen die Tischplatte drückten. Harry lehnte sich zurück, um die zerbeulte Camel-Packung aus seiner Hosentasche zu ziehen, und sah Møller mit hochgezogenen Augenbrauen an, der kurz nickte und ihm einen der vollen Aschenbecher zuschob.
»Es wird in meiner Verantwortung liegen, den Weg von und nach Gardermoen zu sichern. Außer dem Präsidenten kommen ja Barak …«
»Barak?«
»Ehud Barak. Der israelische Ministerpräsident.«
»Gibt es etwa schon wieder so ein glorioses Oslo-Abkommen?« Entmutigt sah Møller zu der blauen Rauchsäule hoch, die sich bis zur Decke wand.
»Erzähl mir bloß nicht, dass du das nicht mitbekommen hast, Harry, dann muss ich mir noch mehr Sorgen um dich machen, als ich es ohnehin schon tue. Das stand doch auf allen Titelseiten der letzten Woche.«
Harry zuckte mit den Schultern.
»Das liegt an den unzuverlässigen Zeitungsboten. Reißt tatsächlich Löcher in meine Allgemeinbildung. Das ist ein echtes Handicap im gesellschaftlichen Leben.«
Harry probierte noch einen winzigen Schluck von dem Kaffee, gab dann aber auf und stellte den Becher zur Seite.
»Und im Liebesleben.«
»Ach ja?« Møller sah Harry mit einem Blick an, als wüsste er nicht, ob er sich auf das, was jetzt kommen würde, freuen oder es fürchten sollte.
»Klar. Wer findet schon einen Mann von Mitte dreißig sexy, der den Background aller Big-Brother-Teilnehmer kennt, nicht aber die Namen eines einzigen Ministers? Oder des israelischen Kanzlers.«
»Ministerpräsidenten.«
»Verstehst du, was ich meine?«
Møller unterdrückte ein Lachen. Er musste immer so schnell lachen. Und er mochte diesen leicht angeschlagenen Beamten mit den großen Ohren, die wie zwei bunte Schmetterlingsflügel von seinem kahlen Schädel abstanden. Obgleich Harry ihm mehr als genug Probleme bereitet hatte. Als frisch gebackener PAC hatte er als Erstes lernen müssen, wie wichtig es für einen höheren Beamten mit Karriereplänen war, sich den Rücken freizuhalten. Als sich Møller nun räusperte, um die besorgte Frage zu stellen, auf die er eine Antwort haben wollte –
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