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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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gerettet. Die Tatsache, dass sich diese Person später nicht als Attentäter entpuppte, ändert nichts an diesem Sachverhalt.«
    »Das ist richtig«, bestätigte Anne Størksen. »In einer solchen Situation sind die Befehle wichtiger als die persönlichen Einschätzungen.«
    Meirik sagte nichts, nickte aber zustimmend.
    »Gut«, sagte Brandhaug. »Der ›Punkt‹, wie du das nennst, Bjarne, ist also, die Presse, unsere Vorgesetzten und alle anderen Beteiligten davon zu überzeugen, dass wir nicht eine Sekunde im Zweifel gewesen sind, dass unser Verbindungsoffizier das Richtige getan hat. Der ›Punkt‹ ist, dass wir uns bereits jetzt so verhalten müssen, als ob er eine wahre Heldentat vollbracht hätte.«
    Brandhaug bemerkte Møllers Bestürzung.
    »Wenn wir den Beamten jetzt nicht befördern, haben wir fast schon eingeräumt, dass es ein Fehler von ihm war zu schießen und dass die Sicherheitsmaßnahmen während des Präsidentenbesuches nicht ausreichend waren.«
    An den Tischen wurde genickt.
    »Ergo …«, fuhr Brandhaug fort. Er liebte dieses Wort. Das war einWort in einer Rüstung, fast unüberwindlich, denn es erhob den Anspruch logischer Autorität. Daraus folgt …
    »Ergo geben wir ihm eine Medaille?« Das war wieder Rakel.
    Brandhaug spürte einen Anflug von Irritation. Es war die Art, wie sie »Medaille« sagte. Als schrieben sie hier das Manuskript für eine Komödie, bei der allerlei amüsante Vorschläge willkommen waren. Als ob seine Ausführungen komödiantisch wären.
    »Nein«, sagte er langsam und mit Nachdruck »Keine Medaille. Medaillen und Orden haben zu wenig Gewicht, die geben uns nicht die Glaubwürdigkeit, die wir brauchen.« Er lehnte sich zurück und legte die Hände hinter seinen Kopf.
    »Lasst uns den Kerl befördern. Geben wir ihm einen Posten als Kommissionsleiter.«
    Es folgte ein langes Schweigen.
    »Kommissionsleiter?« Bjarne Møller starrte Brandhaug noch immer ungläubig an. »Weil er einen Secret-Service-Agenten niedergeschossen hat?«
    »Das hört sich vielleicht ein bisschen makaber an, aber denk mal nach.«
    »Das …« Møller blinzelte und sah aus, als wolle er eine ganze Menge dazu sagen, doch dann schloss er seinen Mund wieder.
    »Er braucht ja vielleicht nicht alle Funktionen innezuhaben, die ein Kommissionsleiter gewöhnlich hat«, hörte Brandhaug die Polizeipräsidentin sagen. Ihre Worte kamen vorsichtig. Als ob sie einen Faden durch ein Nadelöhr schöbe.
    »Auch darüber haben wir uns schon Gedanken gemacht, Anne«, antwortete er und legte etwas Gewicht auf den Namen. Er benutzte zum ersten Mal ihren Vornamen. Eine ihrer Augenbrauen zuckte leicht, doch sie schien nichts dagegen zu haben. Er fuhr fort:
    »Es bleibt aber ein Problem: Wenn alle Kollegen dieses schießwütigen Verbindungsoffiziers diese Ernennung auffällig finden und mit der Zeit begreifen, dass der Titel bloß Staffage ist, sind wir genauso weit wie jetzt – bestenfalls. Denn wenn sie erst auf die Idee kommen, dass es sich dabei um ein Ablenkungsmanöver handeln könnte, werden die Gerüchte gleich wieder kursieren; und dann sieht es so aus, als hätten wir bewusst etwas kaschieren wollen, nämlich dass wir – ihr – dieser Polizist – einen Fehler gemacht haben. Wir müssen ihm daher einen Posten verschaffen, bei dem es glaubwürdigist, dass niemand konkret Einblick erhält, was er dort eigentlich tut. Mit anderen Worten: eine Beförderung kombiniert mit einer Versetzung an einen abgeschirmteren Ort.«
    »Abgeschirmt, ohne Einblick von außen.« Rakel lächelte schief. »Das hört sich so an, als wollten sie ihn in unsere Obhut übergeben, Brandhaug.«
    »Was meinst du, Kurt?«, fragte Brandhaug.
    Kurt Meirik kratzte sich hinter dem Ohr und machte ein amüsiertes Gesicht.
    »Ja doch«, sagte er. »Wir finden schon irgendeine Aufgabe für einen Kommissionsleiter, glaube ich.«
    Brandhaug nickte. »Das wäre eine große Hilfe.«
    »Ja, wir müssen einander doch helfen, wo wir können.«
    »Wunderbar«, sagte Brandhaug, lächelte breit und signalisierte mit einem Blick auf die Uhr an der Wand, dass die Sitzung vorüber war. Stuhlbeine schabten über den Boden.
     
    Sankthanshaugen, 4. November 1999
     
    15 »Tonfight we’re gonna party like it’s nineteen-ninety— ni ne! «
    Ellen sah zu Tom Waaler hinüber, der gerade eine Kassette in die Anlage geschoben und die Lautstärke derart aufgedreht hatte, dass das Armaturenbrett zu zittern begann. Die durchdringende Falsettstimme des Sängers stach

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