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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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geschossen wird, der nicht einmal das Recht hatte, eine Waffe zu tragen, weil er die Schießprüfung nicht bestanden hat. Einem Beamten, der, wenn das publik würde, auf der Stelle angeklagt und zu ein bis drei Jahren verknackt würde. Ein verdammt übler Leumund für einen Kommissionsleiter, findest du nicht auch?«
    Er hob sein Glas und stellte es neben der Decke auf die Plastiktischplatte.
    »Welche Schießprüfung?«, fragte sie leichthin.
    Er sah sie scharf an und sie erwiderte seinen Blick mit ruhiger, sachlicher Miene.
    »Was meinst du?«, fragte er.
    »Ich weiß nicht, wovon du redest, Harry.«
    »Du weißt verdammt gut, dass …«
    »Soweit ich weiß, hast du die Schießprüfung dieses Jahr bestanden. Und das meint auch Møller. Er ist heute Morgen sogar zum Schießplatz gegangen, um das beim Schießtrainer zu überprüfen. Sie haben im Computer dein Datenblatt überprüft. Nach allem, was sie sehen konnten, hattest du mehr als genug Punkte. Die machen keinen zum Kommissionsleiter im PÜD, der Secret-Service-Agenten niederschießt, ohne eine saubere Schießkarte zu haben, weißt du.«
    Sie grinste Harry breit an, der jetzt eher verwirrt als angetrunken aussah.
    »Aber ich habe keine Schießkarte!«
    »Doch, doch, du hast sie bloß verlegt. Du wirst sie schon finden, Harry.«
    »Jetzt hör mal, ich …«
    Er hielt plötzlich inne und starrte auf das Plastikmäppchen vor sich auf dem Tisch. Ellen stand auf.
    »Dann sehen wir uns morgen um neun, Herr Kommissionsleiter?«
    Harry konnte als Antwort nur stumm nicken.
     
    Radisson SAS, Holbergs Plass, 5. November 1999
     
    16 Betty Andresen hatte so eine helle, lockige Dolly-Parton-Frisur, die wie eine Perücke aussah. Es war keine Perücke, und die Haare waren auch das Einzige an ihr, was an Dolly Parton erinnerte. Betty Andresen war groß und dünn, und wenn sie lächelte, wie jetzt gerade, öffnete sie ihren Mund nur ganz wenig, so dass ihre Zähne kaum zum Vorschein kamen. Dieses Lächeln galt dem alten Mann, der an der Rezeption des RadissonSAS Hotels am Holbergs Plass stand. Es war keine gewöhnliche Rezeptionstheke, sondern eine von mehreren »Multifunktionsinseln« mit Computerbildschirmen, wodurch sie mehrere Gäste gleichzeitig bedienen konnte.
    »Guten Morgen«, sagte Betty Andresen. An der Hotelfachschule in Stavanger hatte sie gelernt, beim Grüßen immer die Tageszeit zu berücksichtigen. In einer Stunde würde sie »guten Tag« sagen, dann »einen schönen Nachmittag« wünschen und schließlich »guten Abend«. Und wenn sie zu guter Letzt in ihre Zweizimmerwohnung im Stadtteil Torshov zurückkehrte, wünschte sie sich nichts sehnlicher, als jemanden zu haben, dem sie »gute Nacht« wünschen könnte.
    »Ich möchte mir gerne ein Zimmer anschauen, das so hoch wie möglich liegt.«
    Betty Andresen starrte auf die nassen Schultern des Mannes. Draußen schüttete es. Ein Wassertropfen klammerte sich zitternd an die Hutkrempe des alten Mannes.
    »Sie wollen sich ein Zimmer anschauen?«
    Betty Andrésens Lächeln wich nicht von ihren Lippen. Das hatte sie gelernt und daran hielt sie fest; alle sollten wie Gäste behandelt werden, bis das Gegenteil unwiderruflich feststand. Dennoch war sie sich im Klaren darüber, dass das, was dort vor ihr stand, ein weiteres Exemplar der Gattung Alter-Mann-auf-Besuch-in-der-Hauptstadt-der-gerne-die-Aussicht-vom-SAS-Hotel-genießen-möchte-ohne-dafür-zu-bezahlen war. Solche kamen immer wieder, vor allem im Sommer. Und sie kamen nicht nur wegen der Aussicht. Einmal hatte eine alte Frau darum gebeten, sich die Palace Suite in der zweiundzwanzigsten Etage anschauen zu dürfen, so dass sie sie ihren Freundinnen beschreiben und erzählen konnte, sie hätte dort gewohnt. Sie hatte Betty sogar fünfzig Kronen dafür geboten, sie im Gästebuch einzutragen, um einen Beweis zu haben.
    »Einzel-oder Doppelzimmer?«, fragte Betty. »Raucher oder Nichtraucher?«
    Die meisten begannen bereits da zu stammeln.
    »Das ist mir egal«, sagte der Alte. »Das Wichtigste ist die Aussicht. Ich möchte mir ein Zimmer anschauen, dessen Fenster nach Südwesten gehen.«
    »Ja, dann können Sie die ganze Stadt überblicken.«
    »Genau. Welches ist Ihr bestes Zimmer?«
    »Das beste ist natürlich die Palace Suite, aber warten Sie, ich kann nachschauen, ob nicht noch ein normales Zimmer frei ist.«
    Sie trommelte über die Tastatur und wartete darauf, dass er anbiss. Es dauerte nicht lange.
    »Ich möchte mir gerne die Suite anschauen.«
    Natürlich

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