Rotkehlchen
in Ellens Trommelfelle.
»Geil, was?«, schrie Tom über die Musik hinweg. Ellen wollte ihn nicht verletzen und nickte deshalb bloß. Nicht dass sie glaubte, dass Tom Waaler leicht zu verletzen war, doch sie wollte sich mit ihm gutstellen, solange es nur ging. Sie hoffte, dass ihr das gelingen würde, bis das Gespann Tom Waaler – Ellen Gjelten wieder aufgelöst wurde. Der PAC, Bjarne Møller, hatte jedenfalls gesagt, das sei nur vorübergehend. Alle wussten, dass Tom im Frühling zum Kommissionsleiter befördert werden würde.
»Negertunte«, rief Tom.
Ellen antwortete nicht. Es regnete so heftig, dass sich das Wasser sogar bei der schnellsten Scheibenwischereinstellung wie ein Weichzeichnerauf die Windschutzscheibe des Streifenwagens legte und die Gebäude im Ullev å lsveien wie weiche Märchenhäuser aussehen ließ, die langsam vor-und zurückschwankten. Møller hatte sie heute Morgen losgeschickt, um Harry zu suchen. Sie hatten bereits in seiner Wohnung in der Sofiesgate geklingelt und festgestellt, dass er nicht zu Hause war. Oder nicht aufmachen wollte, das heißt nicht in der Lage war zu öffnen. Ellen befürchtete das Schlimmste. Sie sah zu den Menschen nach draußen, die über die Bürgersteige hasteten. Auch diese hatten bizarre, verdrehte Formen wie in den Zerrspiegeln auf dem Jahrmarkt.
»Fahr die nächste rechts rein und halt dann an«, sagte sie. »Du kannst im Auto warten, ich schau nach.«
»Gerne«, sagte Waden »Besoffene sind für mich das Schlimmste.«
Sie sah ihn von der Seite an, doch sein Gesichtsausdruck verriet nicht, ob er generell die Vormittagsklientel in Schrøders Restaurant meinte oder speziell an Harry dachte. Er hielt das Auto an einer Bushaltestelle vor dem Haus an, und als Ellen ausstieg, sah sie, dass auf der anderen Seite der Straße ein Café eröffnet hatte. Vielleicht gab es das auch schon länger und sie hatte es nur nicht bemerkt. Hinter den großen Fenstern saßen junge Menschen mit Rollkragenpullovern auf Barhockern und lasen ausländische Zeitungen oder starrten einfach nur mit großen weißen Kaffeebechern in den Händen nach draußen in den Regen, während sie sich vermutlich Gedanken darüber machten, ob sie das richtige Nebenfach gewählt hatten, das passende Designersofa, die richtige Freundin, den besten Buchclub und die passende Stadt in Europa.
In der Tür von Schrøders wäre sie beinahe mit einem Mann in einem Islandpullover zusammengestoßen. Der Alkohol hatte fast das Blau aus seiner Iris gespült und die Hände des Mannes waren groß wie Bratpfannen und schwarz vor Dreck. Ellen nahm den süßlichen Gestank von Schweiß und Alkohol wahr, als er an ihr vorbeitorkelte. Drinnen herrschte stille Vormittagsstimmung. Nur vier Tische waren besetzt. Ellen war schon einmal hier gewesen, vor langer Zeit, und soweit sie das beurteilen konnte, war alles unverändert. An den Wänden hingen große Bilder von dem alten Oslo und gemeinsam mit den braunen Wänden und dem Glasdach in der Mitte des Raumes gaben sie dem Lokal einen Touch von englischem Pub. Allerdings nur ein klein bisschen, wenn man ehrlich sein wollte. Die Holztische undSofaecken erinnerten dagegen eher an den Rauchersalon einer alten More-Küstenfähre. Am anderen Ende des Schankraumes stand eine Bedienung mit einem Geschirrtuch an einem der Tische und rauchte, während sie Ellen gleichgültig musterte. Harry saß mit gesenktem Kopf ganz hinten in der Ecke am Fenster. Ein großer, leerer Bierkrug stand vor ihm.
»Hei«, sagte Ellen und setzte sich auf den Stuhl gegenüber. Harry blickte auf und nickte. Als hätte er dagesessen und auf sie gewartet. Sein Kopf sackte wieder nach unten.
»Wir haben versucht, dich zu finden. Wir waren schon bei dir zu Hause.«
»War ich zu Hause?« Er sagte das ganz trocken, ohne zu lächeln. »Ich weiß nicht. Bist du zu Hause, Harry?« Sie nickte in Richtung Glas.
Er zuckte mit den Schultern.
»Er wird es überleben«, sagte sie.
»Hab ich auch gehört, Møller hat mir eine Nachricht auf den Anrufbeantworter gesprochen.« Seine Aussprache war überraschend deutlich. »Er hat nichts davon gesagt, wie schwer die Verletzungen sind. Verdammt viele Nerven in so einem Rückgrat, nicht wahr?«
Er legte den Kopf zur Seite, doch Ellen antwortete nicht. »Vielleicht ist er nur gelähmt«, sagte Harry und schnippte an das leere Glas. »Prost.«
»Du bist nur noch heute krankgeschrieben«, sagte sie. »Morgen erwarten wir dich wieder im Dienst.«
Er hob seinen Kopf eine
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