Rotkehlchen
wir dieses Best-Case-Szenario ausschließen. Es wäre direkt naiv zu glauben, dass die Informationen über eine solche Schießerei nicht irgendwann früher oder später durchsickern.«
Bernt Brandhaug bewegte seine Handflächen auf und ab, als wollte er seinen Satz in mundgerechte Portionen aufteilen.
»Abgesehen von den rund gerechnet zwanzig Personen im PÜD, Außenministerium und in der Koordinationsgruppe, die über die Sache Bescheid wissen, waren etwa fünfzehn Polizisten Zeugen des Geschehens vor Ort. Ich will über keinen von ihnen ein schlechtes Wort sagen, sie halten sich bestimmt im Großen und Ganzen an ihre Schweigepflicht. Doch das sind einfache Polizisten ohne viel Erfahrung in Dingen dieser Geheimhaltungsstufe. Dazu kommen noch die Personen im Reichshospital, im Flugdienst, von der Mautgesellschaft Fjellinjen AS und vom Hotel Plaza, die alle mehr oder weniger Grund haben, sich zu fragen, was da eigentlich vor sich gegangen ist. Wir haben auch keine Garantie dafür, dass nicht jemand aus den Gebäuden in der Nähe der Mautstation die Wagenkolonne mit einemFernglas beobachtet hat. Ein einziges Wort von einem der Betroffenen und …«
Er blies die Wangen auf, um eine Explosion anzudeuten.
Es wurde still an den Tischen, bis Møller sich räusperte.
»Und was wäre so schlimm daran … wenn das bekannt würde?«
Brandhaug nickte, als wolle er sagen, dass diese Frage gar nicht so dumm war, doch genau damit überzeugte er Møller vom Gegenteil.
»Die Vereinigten Staaten von Amerika sind etwas mehr als nur einfache Alliierte«, begann Brandhaug mit einem kaum sichtbaren Lächeln. Er sagte das in dem Tonfall, in dem man einem Ausländer erzählt, dass Norwegen einen König hat und Oslo die Hauptstadt des Landes ist.
»1920 war Norwegen eines der ärmsten Länder Europas und das wären wir ohne die Hilfe der USA vermutlich noch immer. Vergessen Sie die Rhetorik der Politiker. Die Emigration, der Marshall-Plan, Elvis und die Finanzierung des Ölabenteuers haben Norwegen vermutlich zu dem proamerikanischsten Staat der Welt werden lassen. Wir, die wir hier sitzen, haben lange dafür gearbeitet, um auf den Platz der Karriereleiter zu kommen, auf dem wir uns heute befinden. Doch sollte es einem von unseren Politikern zu Ohren kommen, dass einer der hier Anwesenden die Schuld daran trägt, dass der amerikanische Präsident einer Gefahr ausgesetzt war …«
Brandhaug ließ den Rest des Satzes unausgesprochen, während sein Blick durch den Raum wanderte.
»Unser Glück ist«, fuhr er fort, »dass die Amerikaner eher bereit sind, den Fehler eines einzelnen Secret-Service-Agenten einzuräumen, als die grundlegenden Kooperationsprobleme mit einem seiner nächsten Alliierten einzugestehen.«
»Das heißt«, sagte Rakel, ohne von dem Block vor sich aufzusehen, »dass wir keinen norwegischen Sündenbock brauchen.« Dann hob sie ihren Kopf und sah Benn Brandhaug direkt an.
»Wir brauchen ganz im Gegenteil einen norwegischen Helden, nicht wahr?«
Brandhaug sah sie mit einer Mischung aus Verwunderung und Interesse an. Verwunderung, weil sie so schnell begriffen hatte, worauf er hinauswollte, und Interesse, weil ihm jetzt absolut klar war, dass er sie auf der Liste haben musste.
»Das ist richtig. An dem Tag, an dem publik wird, dass ein norwegischerPolizist einen Secret-Service-Agenten niedergeschossen hat, müssen wir unsere Version parat haben«, erklärte er. »Und diese Version muss zum Ausdruck bringen, dass auf unserer Seite kein Fehler passiert ist, sondern dass unser Verbindungsoffizier – ganz im Gegenteil – seine Befehle befolgt und seine Pflicht erfüllt hat und die Schuld einzig und allein beim Secret-Service-Agenten liegt. Das ist eine Version, mit der sowohl wir als auch die Amerikaner leben können. Die Herausforderung wird darin liegen, den Medien das glaubhaft zu vermitteln. Und in diesem Zusammenhang …«
»… brauchen wir einen Helden«, ergänzte die Polizeipräsidentin. Sie nickte; auch sie hatte begriffen, was er meinte.
»Sorry«, sagte Møller. »Bin ich der Einzige hier, der nicht ganz mitkommt?« Er machte den etwas unglücklichen Versuch, ein kurzes Lachen anzufügen.
»Der Beamte zeigte Entschlossenheit in einer Situation, die eine potentielle Bedrohung für den Präsidenten darstellte«, erklärte Brandhaug. »Wenn der Mann in dem Kassenhäuschen ein Attentäter gewesen wäre, wovon er aufgrund der aktuellen Vorschriften ausgehen musste, hätte er dem Präsidenten das Leben
Weitere Kostenlose Bücher