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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Spur an. »Ich bin krankgeschrieben?« Ellen schob ein kleines Plastikmäppchen über den Tisch. Die Rückseite eines rosafarbenen Papiers war zu erkennen.
    »Ich habe mit Møller gesprochen. Und Doktor Aune. Bring die Kopie von diesem Attest mit. Møller sagte, es sei ganz normal, ein paar Tage auszusetzen, wenn man jemanden im Dienst niedergeschossen hat. Aber komm bitte morgen.«
    Sein Blick wanderte zum Fenster mit den bunten Glasfliesen. Wahrscheinlich hatte man die aus Diskretion dort angebracht, damit die Menschen hier drinnen von außen nicht gesehen werden konnten.
    »Also? Kommst du?«, fragte sie.
    »Tja.« Er sah sie mit dem verschleierten Blick an, den sie noch ausden Zeiten kannte, als er gerade aus Bangkok zurückgekommen war. »Ich würde nicht allzu viel darauf setzen.«
    »Komm trotzdem. Es warten ein paar amüsante Überraschungen auf dich.«
    »Überraschungen?« Harry lachte leise. »Was, meine Liebe, soll das denn schon sein? Frühpensionierung? Ehrenvoller Abschied? Will mir der Präsident das Purple Heart überreichen?«
    Er hob seinen Kopf weit genug an, so dass Ellen seine blutunterlaufenen Augen sehen konnte. Sie seufzte und wendete sich zum Fenster. Hinter dem Glas glitten konturlose Autos wie in einem psychedelischen Film vorbei.
    »Warum tust du dir das an, Harry? Du weißt – ich weiß – alle wissen, dass es nicht dein Fehler war! Sogar der Secret Service räumt ein, dass es deren Fehler war, uns nicht zu informieren. Und dass wir – du richtig gehandelt hast.«
    Harry sprach leise, ohne sie anzusehen: »Glaubst du, seine Familie sieht das auch so, wenn er im Rollstuhl nach Hause kommt?«
    »Verdammt, Harry!« Ellen hatte ihre Stimme erhoben und bemerkte aus dem Augenwinkel, dass die Frau an dem Tisch sie mit steigendem Interesse beobachtete. Sie witterte vermutlich einen heftigen Streit.
    »Irgendeiner hat halt immer Pech und bleibt auf der Strecke, Harry. So ist das eben, da hat keiner wirklich Schuld dran. Wusstest du, dass jedes Jahr sechzig Prozent der gesamten Population der Heckenbraunellen sterben? Sechzig Prozent! Wenn man innehalten und darüber nachdenken würde, was das soll, würde man ganz schnell zu diesen sechzig Prozent gehören, ohne es vorher zu merken, Harry.«
    Harry antwortete nicht, saß bloß da und nickte zu der karierten Decke mit den schwarzen Brandlöchern von Zigaretten hin.
    »Ich werde mich für meine Worte hassen, Harry, aber tu mir den Gefallen und komm morgen. Komm einfach, ich werde nicht mit dir reden und du musst mich auch nicht anhauchen, okay?«
    Harry steckte seinen kleinen Finger durch eines der Brandlöcher. Dann schob er sein leeres Glas zur Seite, so dass es eines der anderen Löcher abdeckte. Ellen wartete.
    »Sitzt Waaler da draußen im Auto?«, fragte Harry.
    Ellen nickte. Sie wusste, wie wenig sich die beiden mochten. Dann hatte sie eine Idee, zögerte, ging dann aber das Risiko ein.
    »Er hat übrigens zweihundert Kronen gewettet, dass du nicht auftauchst.«
    Harry lachte wieder sein leises Lachen. Dann hob er seinen Kopf, stützte das Kinn auf die Hände und sah sie an.
    »Du bist wirklich eine schlechte Lügnerin, Ellen. Aber danke für den Versuch.«
    »Zum Teufel mit dir.«
    Sie holte tief Luft, wollte etwas sagen, entschloss sich dann aber anders. Sie sah Harry lange an. Dann holte sie noch einmal Luft.
    »Scheißegal. Eigentlich sollte Møller dir das sagen, aber jetzt sag ich es dir: Sie geben dir eine Stellung als Kommissionsleiter im PÜD.«
    Harrys Lachen summte leise wie der Motor eines Cadillac Fleetwood: »Okay, mit ein bisschen Übung kann aus deinen Lügen vielleicht doch noch etwas werden.«
    »Es stimmt!«
    »Das ist unmöglich.« Sein Blick wanderte wieder aus dem Fenster.
    »Warum? Du bist einer der besten Ermittler und hast dich gerade als handlungsfähiger Polizist erwiesen; du hast Jura studiert, du …«
    »Das ist unmöglich, sage ich. Selbst wenn jemand auf diese absolut verrückte Idee gekommen sein sollte.«
    »Aber warum?«
    »Aus einem ganz einfachen Grund. Waren das nicht sechzig Prozent von diesen Vögeln da?«
    Er zog die Decke mitsamt dem Glas über den Tisch. »Heckenbraunellen«, sagte sie.
    »Genau. Und woran sterben die?«
    »Wie meinst du das?«
    »Die legen sich ja wohl nicht einfach hin.«
    »Hunger. Raubtiere. Kälte. Erschöpfung. Vielleicht fliegen sie gegen ein Fenster. Alles Mögliche.«
    »Okay. Aber ich glaube, dass keiner von ihnen von einem norwegischen Polizisten in den Rücken

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