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Rotkehlchen

Rotkehlchen

Titel: Rotkehlchen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jo Nesbø
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Kriegskameraden nicht mehr?«
    »Welcher Krieg?«
    »Wir haben doch für die gleiche Sache gekämpft, du und ich.« »Wenn du meinst. Was willst du?«
    »Hä?«, fragte der Säufer. Er hatte eine Hand hinter sein Ohr gelegt.
    »Ich hab gefragt, was du willst«, wiederholte der Alte lauter.
    »Wollen, was soll ich schon wollen. Es ist doch wohl normal, dass alte Bekannte mal einen Plausch halten, oder? Besonders, wenn man sich so lange nicht gesehen hat. Noch dazu, wenn man dachte, der andere wäre tot.«
    Der Alte drehte sich um.
    »Sehe ich tot aus?«
    Der Mann mit dem roten Islandpullover sah ihn mit wässrig blauen Augen an, die fast wie türkisfarbene Murmeln wirkten. Sein Alter war unmöglich zu bestimmen. Er konnte vierzig oder achtzig sein. Doch der alte Mann wusste, wie alt der Säufer war. Wenn er sich konzentrierte, kam er vielleicht sogar noch auf dessen Geburtsdatum. Mit den Geburtstagen hatten sie es im Krieg ganz genau gehalten.
    Der Säufer kam einen Schritt näher.
    »Nein, du siehst nicht tot aus. Krank, ja, aber nicht tot.«
    Er streckte ihm eine riesige, dreckige Pranke entgegen, und der Alte roch sofort den süßlichen Dunst, eine Mischung aus Schweiß, Urin und Erbrochenem.
    »Was? Willst du deinem alten Kameraden nicht mal die Hand geben?« Die Stimme klang wie ein Todesröcheln.
    Der Alte drückte die ausgestreckten Finger leicht und kurz. Er zog seine Handschuhe nicht aus.
    »So, ja«, sagte er. »Jetzt haben wir uns die Hand gegeben. Wenn es nicht noch um etwas anderes geht, werde ich mich jetzt wieder auf den Weg machen.«
    »Etwas anderes, ja vielleicht.« Der Säufer schwankte vor und zurück, während er versuchte, den Alten zu fokussieren. »Ich frage mich nur, was ein Mann wie du in diesem Rattenloch zu suchen hat. Das is’ doch nicht verwunderlich, dass man sich das fragt, oder, hä? Der hat sich wohl nur verlaufen, habe ich das letzte Mal gedacht, als ich dich hier sah. Aber du hast schließlich bei diesem üblen Burschen gesessen und mit ihm geredet, von dem sie sagen, dass er andere mit einem Baseballschläger bearbeitet. Und als du heute wieder hier warst …
    »Ja?«
    »Da habe ich mir gedacht, dass ich einen dieser Journalisten fragen sollte, die ab und zu hierher kommen, ob er eine Ahnung hat, was so ein stattlicher Kerl wie du in diesem Milieu zu suchen hat. Diese Schnüffler wissen alles. Und was sie nicht wissen, das kriegen sie irgendwie raus. Zum Beispiel, wie das möglich ist, dass ein Mann, von dem alle glaubten, er sei im Krieg gestorben, plötzlich wieder lebendig ist. Die kriegen ihre Informationen wirklich verdammt schnell. So schwups.«
    Er versuchte vergeblich, mit den Fingern zu schnippen. »Und dann landet das alles in der Zeitung, weißt-du.«
    Der Alte seufzte. »Gibt es etwas, womit ich dir helfen kann?« »Sieht das so aus?« Der Säufer breitete die Arme aus und grinste ihn mit seinem lückenhaften Gebiss an.
    »Ich verstehe«, sagte der Alte und sah sich um. »Lass uns ein paar Schritte gehen. Ich mag keine Zuschauer.«
    »Hä?«
    »Ich mag keine Zuschauer.«
    »Nein, was soll das jetzt werden?«
    Der Alte legte seine Hand leicht auf die Schulter des anderen. »Lass uns hier hineingehen.«
    »Show me the way, Kamerad«, sang der Säufer heiser und lachte.
    Sie traten in den Hauseingang neben Herbert’s Pizza, in dem sich große, graue, übervolle Müllsäcke stapelten und sie von der Straße abschirmten.
    »Du hast doch noch niemandem erzählt, dass du mich gesehen hast, oder?«
    »Biste verrückt, hab doch erst gedacht, ich seh Gespenster. Ein Geist am helllichten Tage. Und das auch noch bei Herbert.«
    Er lachte rasselnd, doch das Lachen verwandelte sich rasch in einen gurgelnden, nassen Husten. Er beugte sich vor und stützte sich an der Wand ab, bis sich der Husten legte. Dann richtete er sich wieder auf und wischte sich den Schleim aus den Mundwinkeln.
    »Nein, verdammt, ich hab nichts gesagt, die hätten mich doch sonst nur eingesperrt.«
    »Was ist denn ein angemessener Preis für dein Schweigen?« »Angemessen, tja. Ich hab ja gesehen, dass sich dieser Schläger den Tausender aus der Zeitung geschnappt hat, die du mithattest …«
    »Ja?«
    »Ein paar davon würden ja eine Weile reichen, das ist sicher.« »Wie viel?«
    »Wie viel hast du denn?«
    Der Alte seufzte, sah sich noch einmal um, um sich zu vergewissern, dass es keine Zeugen gab. Dann knöpfte er seinen Mantel auf und schob seine Hand hinein.
     
    Sverre Olsen ging mit langen Schritten

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