Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
diese deutsche Aura, die den Fall umgibt wie eine Gloriole.«
Raipanen nippte an seinem Kaffee.
»Wie meinst du das?«
»Nun ja, da ist zum einen Janus Dahlin. Er ist Lehrer. Unter anderem für Deutsch. Er hat in Deutschland studiert, in Hamburg, wenn ich mich richtig erinnere. Er spricht Deutsch im Schlaf, wie seine Freundin berichtet. Nein, er schreit geradezu, hat Albträume. Sara Saale vermutet ein traumatisches Erlebnis dahinter. Der Ort Osterode taucht immer wieder auf. Dann seine ehemalige Geliebte Frederika Hakelius. Spricht auch Deutsch. Hat auch einige Jahre in Deutschland gelebt. Hat deshalb sogar bis heute einen deutschen Akzent, sagt ihr Mann.«
»Komisch«, sagte Nyström. »Du hast irgendwie gar keinen deutschen Akzent. Dabei warst du doch viel länger drüben. Und du hast eine deutsche Mutter, während bei Frederika ...«
Raipanen blätterte in seinen Unterlagen.
» ... beide Eltern Schweden sind. Gunvald und Barbro Blomqvist. Vater Ingenieur, Mutter Lehrerin. Kamen 1985 bei einem Reisebusunglück in Norwegen ums Leben. Wenn die Angaben von Peter Hakelius stimmen, dann lebte die Familie von 1978 bis 82 in Stuttgart. Danach sind sie wieder nach Schweden zurückgekehrt.«
»Da war Frederika zwölf bis sechzehn«, rechnete Nyström. »Schon eine prägende Zeit.«
»Aber deshalb einen deutschen Akzent? Eine heute 46-jährige Frau, die schwedische Muttersprachlerin ist?«, sagte Forss. »Nie im Leben. Und dazu noch die Tatsache, dass sie ihrem Mann zufolge immer so ein Geheimnis um diese Zeit in Deutschland gemacht hat. Er hat von Mauern gesprochen, von geheimen Orten.«
»Merkwürdig«, sagte Nyström. Sie klang jetzt aufgekratzter. »Das hat dieser Arbeitskollege von Olof Andersson auch zu Protokoll gegeben. Er habe versucht, sich mit Andersson anzufreunden, sei aber immer wieder gegen Mauern gestoßen, hat er gesagt. Und noch etwas: Anette Hultin gegenüber hat er einen Akzent erwähnt. Andersson habe manchmal so geklungen, als käme er gar nicht aus Schweden.«
»Er nannte sich heimlich Stiller . Sein Künstlername oder Pseudonym, unter dem er seine sphärische, elektronische Musik gemacht hat. Noch so ein deutsches Wort. Ruhiger bedeutet das. Es gibt auch eine bekannte Romanfigur, die so heißt. Jetzt, wo ich darüber nachdenke, fällt es mir wieder ein: In dem Buch geht es um einen Mann, der in Wirklichkeit jemand ganz anderer ist. Oder glaubt es zu sein. Oder so ähnlich.«
Sie zuckte entschuldigend die Schultern.
»Ist schon lange her, dass ich es gelesen habe.«
Nyström sagte: »Und weder bei Frederika Hakelius noch bei Olof Andersson haben wir einen einzigen Angehörigen getroffen. Mal abgesehen von Frederikas Mann, aber der ist angeheiratet. Beide scheinen Menschen ohne belegbare Vergangenheit zu sein. Eltern seit Langem tot, Einzelkinder, keine weitere Verwandtschaft. Dabei leben wir in einem der kinderreichsten Länder Europas. Das ist doch seltsam!«
Raipanens Blick war zwischen den beiden Frauen hin und her gewechselt, als verfolgte er ein Tischtennismatch.
»Wir brauchen mehr Hintergrundinformationen, Familienzeug. Geburtsurkunden, Melderegistereinträge, Totenscheine, den ganzen Mist ...«, sagte er.
»Delgado«, sagte Nyström und griff nach ihrem Handy.
11
Hugo Delgado und Anette Hultin saßen im selben Büro, Schreibtischstuhllehne an Schreibtischstuhllehne, jeder hatte einen Bildschirm vor sich und einen Telefonhörer am Ohr. Nyströms Anruf hatte die Folgen des emotionalen Auffahrunfalls vor dem Bishop’s Arms abgefedert. Jedenfalls Hultin dachte so. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, wohin der Abend hätte führen können. Was sie womöglich nach dem dritten Bier hätte sagen, tun oder lassen können. Hier und jetzt Rücken an Rücken zu sitzen war definitiv klüger und weitsichtiger, als anderswo Bauch an Bauch zu liegen. Sie war schließlich eine Frau, die aus ihren Fehlern lernte. Oder?
»Mmh«, machte Delgado. »Mmh, mmh, mmh. Es ist mir schon klar, wie spät es ist. Aber wenn du mir nicht helfen kannst, dann hol mir eben deinen Vertreter oder Vorgesetzten oder was weiß ich ... ja, ja, ja, von nationalem Interesse, das hatte ich bereits mehrfach betont ... Ich weiß auch, dass das nicht der normale Dienstweg ... wie gesagt ...«
Er hielt den Hörer von sich weg, dann kratzte er sich damit am Kopf, bevor er ihn wieder an sein Ohr hielt.
»... schön und gut. Endlich, endlich! Ja. Ja. Mmh. Faxen. Mail geht auch. Oder beam es einfach her. Ja? Danke auch.
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