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Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kerstin Signe Danielsson , Roman Voosen
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nennst?«
    Forss war von ihrem Stuhl aufgestanden.
    »Was sollten sie denn dort noch? In Ostdeutschland schlug doch damals zum zweiten Mal die Stunde null. Und dann noch als Profiteure, ja als Protagonisten des alten Systems? Außerdem hatten sie sich hier wahrscheinlich längst ein Leben aufgebaut. Dahlin und Frau Gretel waren jedenfalls 1991 ein Paar, so viel wissen wir ja bereits. Was hätte sie im neuen, vereinigten Deutschland schon erwartet? Ruhm, Ehre und Rentenansprüche wohl kaum. Sie waren damals jung, hatten noch das ganze Leben vor sich. Warum keinen neuen Anfang? Warum keine zweite Chance?«
    »Als Landbriefträger«, sagte Raipanen. Es sollte sarkastisch klingen und das tat es auch.
    »Na ja, immer noch besser, als von den ehemaligen Nachbarn in Jena, Eisenhüttenstadt oder Dresden, die man vielleicht früher einmal verpfiffen hat, gehasst zu werden! Und Frau Gretel hat es ja offensichtlich zu einer florierenden Werbeagentur gebracht«, warf Forss ein.
    »Der ideologische Frontenwechsel wäre nicht zu verachten.«
    Raipanen klang bitter.
    »Selbst wenn ich euch bis hierhin folgen würde«, sagte Nyström. »Wer sollte diese drei ehemaligen ostdeutschen Spione, Spitzel oder Stasi-Leute denn jetzt auf dem Kieker haben?«
    »Jemand, der weiß, wer sie wirklich sind. Jemand, dem sie einmal sehr wehgetan haben.«
    »Ich weiß nicht«, sagte Nyström. »Ist das nicht alles eine Nummer zu ...«
    »Zu was?«, fragte Forss. Ihre Stimme vibrierte.
    »Zu weit weg«, sagte Nyström. »Ich meine: DDR, Stasi, Kalter Krieg. Das war ein anderes Jahrtausend. Das ist alles so weit weg von hier.«
    »Und der Pfarrer aus Burträsk?«
    »Ich weiß nicht ...«
    »Wenn du die internationalen Zusammenhänge nicht begreifen willst, dann tanz mal schön weiter um deine hübsche, provinzielle, schwedische Mittsommerstange«, zischte Forss und schoss aus dem Zimmer. Hinter ihr flog die Tür mit einem Knall zu.
    13
    Die Wut kam in weißen Wellen. Pochte in ihren Schläfen, dröhnte in ihrem Kopf. Tief einatmen, hatte ihr der Therapeut beigebracht. Und dann ausatmen. Einatmen, ausatmen. Auf den Atem achten. In sich hineinlauschen. Mit dem Rhythmus eins werden. Manchmal funktionierte das. Aber jetzt nicht. Sie gab Gas. Der schwere Gewitterregen klatschte auf die Windschutzscheibe, Böen zerrten an den Baumwipfeln. Raipanens schwerer, PS-starker Volvo pflügte über die Schotterpiste, nahm die Kurven mit Drift. Als die Straße einen plötzlichen Buckel machte, hob der Wagen für einen Augenblick mit allen vier Reifen vom Boden ab. Obwohl Raipanen Nyströms verbohrter, skeptischer Haltung nicht widersprochen hatte, war Forss dankbar, dass er ihr wenigstens sein Auto geliehen hatte. Dank des Navigationsgeräts fand sie das Laubwäldchen im endlos erscheinenden Geflecht der Waldwege, ohne sich zu verfahren. Am Straßenrand stand noch immer ein Transporter der Spurensicherung. Sie folgte dem Trampelpfad durch den Eibenhain. Das dichte Astwerk der Bäume hielt einen Teil des Regens ab, dennoch wurden ihre Haare nass und ihr lief Wasser in den Nacken. Im Dickicht hatte man eine Plane aufgespannt und Scheinwerfer aufgestellt. Zwei Gestalten in Overalls knieten auf dem Waldboden, verrichteten letzte Arbeiten der Tatortsicherung. Der hydraulische Lift war bereits verschwunden und der Leichnam natürlich auch. Die beiden Eschen, die die falsche Frederika Hakelius entzweigerissen hatten, standen wieder gerade, reckten ihre halogenweißen Äste unschuldig in den wolkenverhangenen Himmel. Forss schüttelte sich kurz, dann hetzte sie weiter. Erst als sie in dem Haus stand, fand sie zur Ruhe. Einatmen und ausatmen. Wie Wellen am Strand. Wut in Energie ummünzen. In Ausgeglichenheit. Na, Bravo, ein Kinderspiel! Sie ließ ihre Faust gegen die Wandvertäfelung des Flurs krachen.
    Das Haus hatte die Wärme und die Gerüche der letzten Tage, des unerwartet frühen Sommers gespeichert. Frisches Gras und Walderdbeeren. Kalte Milch. Sonnencreme. Forss schaltete das Licht an, dann löschte sie es wieder. Was sie suchte, würde sie auch so finden, im Zwielicht einer gewittrigen Mittsommernacht. Sie ging in die Küche und setzte sich an den Tisch. Die Scherben des Glases, das Peter Hakelius zerbrochen hatte, lagen noch immer dort. Dickes blaues Glas, aus Finnland. Sie legte die Hand auf die Tischplatte. Das Holz fühlte sich warm an, wie etwas Lebendiges.
    Als fühlte sie den Puls des Hauses.
    Einatmen, ausatmen.
    Sie schloss die Augen.
    Dachte nach.
    Dachte

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