Rotwild: Der zweite Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Hasselgreen hatte man ja gesehen, wohin das führen konnte. Und die heutigen Verhöre von Jenny Purtsi, der Schwägerin des Rechtspopulisten Öhman, sowie von Sture Rube, dem Aushilfsbriefträger, waren bestenfalls ergebnisoffen ausgefallen, wie Hugo es schönfärberisch formuliert hatte. Nichts war dabei herausgekommen. Njet. Nada.
Nein, das führte alles zu nichts. Da mussten andere Methoden her. Gute, alte Polizeiarbeit. Klinkenputzen, Leute befragen, Zeugen finden. Spuren sichern. Wenigstens hatte es heute einen Fortschritt gegeben: Das kriminaltechnische Labor in Linköping hatte herausgefunden, dass das Haar, das man auf Dahlins Leichnam gefunden hatte, mit den DNA-Spuren des Tatorts in Lessebo übereinstimmte. Andersson und Dahlin waren von demselben Täter ermordet worden, so viel stand nun zweifelsfrei fest.
Aber wie hätte Knutsson heute für diese polizeiliche Grundlagenarbeit um Gottes willen noch die Zeit finden sollen? Er hatte den ganzen Tag damit zu tun gehabt, Aussagen durchzugehen, Hinweise aus der Bevölkerung aufzunehmen und Journalisten abzuwimmeln. Außerdem war es ja nicht so, dass sich die Kripo nur mit den beiden Toten rumschlagen musste. Oder den dreien, wenn man die ermordete Frau in Norrland dazuzählen wollte. Es gab natürlich noch die ganz normale Alltagsarbeit, die Einbrüche, Überfälle, Diebstähle. Ganz zu schweigen davon, dass morgen das Mittsommerfest gefeiert würde, Schwedens Sauforgie Nummer eins, was wie jedes Jahr zu einem explosionsartigen Anstieg von Schlägereien, Randale, Unfällen, Körperverletzungen und Vergewaltigungen führen würde. Polizeiarbeit satt. Na, dann mal Prost, dachte sich Knutsson und öffnete ein eiskaltes Leichtbier, das er aus dem üppig gefüllten Kühlschrank gefischt hatte. Auf diesen Moment hatte er sich den ganzen schwitzigen Tag lang gefreut. Er leerte die Flasche in wenigen Zügen. Wonne ließ seinen schweren Körper erzittern. Er stieß laut auf. Öffnete die Kühlschranktüre erneut, griff nach einer zweiten Flasche. Stopp! Schnell noch die Cellophanfolie von dem Teller gelüftet, ein, zwei, drei Hackfleischbällchen gemopst, in die Backentasche geschoben und dann die Kühlschranktür wieder geschlossen. Kauen, trinken, köstlich! Durch das Wohnzimmer, von der offenen Terrassentür her, roch es verheißungsvoll nach Sommeressen. Seine Sinne regten sich. Er streifte den Stress ab wie einen schweren Rucksack. Folgte dem Duft von glühendem Fichtenholz, geräuchertem Fisch, frischem Thymian. Auf der Terrasse, die einen freien Blick auf den Helgasee bot, Lachen, Stimmen. Was gab es schöneres als das eigene Zuhause? Jetzt waren die Nachbarn herübergekommen, Hans und Ulla, ihre Tochter Elin, die mittlerweile eine richtige Frau geworden war, sehr ansehnlich. Und der etwas schluffige, junge Mann mit dem Fusselbart, der den Arm um sie gelegt hatte, das musste wohl ihr Freund sein.
»Da kommt ja unser Kommissar Wallander«, lachte Elin. »Schön, dass du da bist, Lasse. Auch ein Glas?«
Bevor er protestieren konnte, hatte er einen Sektkelch in der Hand, darin etwas Rötliches, Blubberndes.
»Guck nicht so komisch. Das ist Aperol Spritz«, sagte Elin. »Das trinkt man heutzutage in der Großstadt.«
»Spritz. Aha. Na dann.«
»Elin und Christer waren gerade auf großer Europatour«, erklärte Ulla.
»Interrail?«, fragte Knutsson.
»Wer macht denn heute noch Interrail?«
Elin verdrehte die Augen.
»Wir sind geflogen. Barcelona, Rom, Berlin, Prag, Budapest«, zählte sie auf. »In sechs Tagen!«
»Wow«, sagte Knutsson und nippte an seinem Getränk.
»Das ist übrigens Christer. Wir haben uns an der Uni kennengelernt.«
Der Fusselbart grinste. Man gab sich die Hand. Fester Druck. Schien ganz nett zu sein, der Fusselbart, dachte Knutsson, auch wenn er es ehrlich gesagt ein wenig affig fand, wie der junge Mann seine Trainingsjacke um die Hüfte gebunden hatte. Außerdem war es doch an einem Abend wie diesem viel zu warm für diese braune Trainingsjacke mit den gelbroten Streifen.
9
Anette Hultin hatte den Tag damit verbracht, Frauen zu suchen, die mit Janus Dahlin eine Affäre gehabt hatten. In der Kontaktliste seines Handys hatten sie mehr als dreißig weibliche Namen gefunden und ihr war die undankbare Aufgabe zugefallen, all diese Frauen anzurufen, peinliche Fragen zu stellen und die Art ihrer Bekanntschaft zu dem Lehrer zu sondieren. Mehrere Frauen, darunter eine Stadträtin, hatten mitten im Gespräch aufgelegt, insgesamt elf hatten
Weitere Kostenlose Bücher