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Rotzig & Rotzig

Rotzig & Rotzig

Titel: Rotzig & Rotzig Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Juretzka
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blindlings auf ihn los. Leider etwas zu blindlings, denn Siebling schaffte es, mir die Spitze des Queues in den Bauch zu rammen und mich damit aus dem Tritt zu bringen. Bis ich mein Gleichgewicht wiedergefunden hatte, war er aus dem Raum gerannt, und ich hörte die Wohnungstür knallen. Der Rechner sprang wieder an, der Monitor flackerte auf und zeigte die üblichen beleidigten Kommentare und das Strafprogramm, das sie alle abspulen, nachdem man den Reset-Knopf gedrückt oder den Stecker gezogen hat.
    Nur das Bild erschien nicht mehr und ließ sich mit meinen begrenzten Fähigkeiten auch nicht wiederherstellen. Das Foto, das Siebling sich angesehen hatte, war weg. Das Foto der beiden vielleicht zehnjährigen Jungs, semmelblond und sich zum Verwechseln ähnlich, die, nackt und auf allen Vieren, grinsend über ihre Schultern blickten und dem Betrachter dabei ihre perfekt ausgeleuchteten Hintern präsentierten. Frustriert zerrte ich den Rechner vor, rupfte sämtliche Kabel ab, klemmte ihn mir unter den Arm und verließ das Haus, Brecheisen locker und unmissverständlich in der freien Hand.
    Siebling war klug genug, sich nicht zu zeigen.
    „Der Stief hat Nacktaufnahmen von den Kerner-Zwillingen gemacht und verschickt sie im Netz! Und hier drin sind die Beweise!“
    „Kryszinski“, sagte Hauptkommissar Menden in seinem rasend machenden Monoton und unterzog den Ausblick aus seinem Bürofenster einer gründlichen Musterung. „Ich mag ja auf vielen Gebieten meine Defizite haben, doch mit meinen Ohren ist alles in Ordnung.“
    Hatte ich ihn angeschrien? Wenn schon.
    „Und, um es kurz zu machen: Ich werde unter keinen Umständen ohne richterlichen Befehl einen privaten PC durchsuchen lassen. Und schon gar nicht angesichts der Tatsache, dass Sie sich weigern, darzulegen, wie der überhaupt in Ihren Besitz gelangt ist.“
    „Die Frage ist doch die: Bietet er >nur< die Fotos an oder die Jungs als solche? Wollen Sie sich darüber etwa keine Klarheit verschaffen?“
    „Doch.“
    „Also.“ Ich schob ihm Sieblings PC über den Schreibtisch zu. „Was hält Sie?“
    „Etwas, das Sie niemals in Ihren dicken Schädel kriegen werden, Kryszinski. Es nennt sich Dienstvorschriften.“
    „Ich habe den begründeten Verdacht, dass für den rasanten Umzug der Zwillinge nach Luxemburg Geld geflossen ist. Und, dass es in der Luxemburger Pflegefamilie zu Übergriffen gegen Kinder kommt.“ Menden wandte sich vom Fenster ab, drehte sich zu mir. „Das sind schon zwei Verdachtsmomente“, sagte er. „Na, dann begründen Sie die mal.“ Er sah mich abwartend an, und das Eisgrau seiner Augen kühlte mir das Temperament ein paar Grad herunter. „Okay, ich habe den Verdacht“, verbesserte ich mich, „dass Angelo Muller, ein neunjähriger Junge, unter der Obhut der Reiffs in kurzer Zeit so traumatisiert wurde, dass er sich aus einem hohen Fenster gestürzt hat.“
    „Dafür kann es hundert Gründe geben.“ Menden setzte sich mir gegenüber an seinen Schreibtisch. Er wirkte müde, wie immer. Doch das täuscht. Ich kenne niemand Wacheren.
    „Sicher“, sagte ich, „aber für Fotos von nackten Kindern in aufreizenden Posen fällt mir nur ein Grund ein. Die Frage ist: Gibt es einen Zusammenhang? Sind die Zwillinge wirklich durch einen glücklichen Zufall nach Echternach verschoben worden? Hat man das Foto vor oder nach ihrem Umzug gemacht?“
    „Luxemburg ist Ausland. Was soll ich Ihrer Ansicht nach tun?“
    „Na, durchsuchen Sie den Rechner!“
    „Nein.“
    „Sind Sie sich darüber im Klaren, was Ihre Weigerung unter Umständen bedeuten kann?“
    „Ja. Trotzdem werde ich mich keines Dienstvergehens schuldig machen, nur weil Sie impulsiv sind, einen Hang zu übereilten Rückschlüssen haben und eine anarchische Gesetzesauffassung an den Tag legen. Haben Sie die Kerner-Zwillinge auf dem Foto zweifelsfrei erkannt?“
    „Ja, habe ich“, antwortete ich fest. „Macht das jetzt einen Unterschied?“
    „Nein. Wir reden hier nach wie vor über ein Foto, und sämtliche von Ihnen konstruierten Zusammenhänge sind unbewiesen.“
    Das Telefon auf seinem Schreibtisch fiepte, und Menden ging dran. Er murmelte ein paarmal „Ja“ und „gut“ und was man so von sich gibt, wenn man hauptsächlich mit Zuhören beschäftigt ist. Dann sagte er etwas, das mir das Nackenhaar nach oben kämmte. Er sagte: „Das ist nicht nötig. Der Beschuldigte befindet sich bereits hier auf der Wache. Er sitzt mir gegenüber.“ Menden legte auf und sah mich an.

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