Rotzig & Rotzig
leichtes Glimmen auszublasen.
Als Nächstes suchte ich eine meiner Listen heraus, griff zum Telefon, wählte ein paar Nummern, stellte jedes Mal dieselbe Frage. Bekam überall dieselbe Antwort. Ja, die Arzneischränke waren durchwühlt worden. Es war nicht immer ganz sicher festzustellen, ob tatsächlich etwas fehlte, doch durchwühlt worden waren sie auf jeden Fall.
Ich hatte die ständig weggetretene und wie mit dem Arsch auf ihrem Sofa festgewachsene Yvonne Kerner einfach nicht auf dem Schirm gehabt. Gleichzeitig war es durchaus möglich, dass Roland Siebling die meisten Brüche begangen hatte. Dann war ich hier eingezogen, und Siebling hatte recht bald meine Hausmeister-Fassade durchschaut. Und um nicht aufzufliegen, ging das Pärchen hin und drehte es so, dass Yves und Sean wie die Schuldigen wirken mussten. Wieso? Hatten sie in unfassbarer Naivität auf deren Strafunmündigkeit gesetzt? Doch spätestens als die Jugendamtsleiterin Anstalten machte, die Bengel mitzunehmen, hätten sie merken müssen, dass der Plan in die Hose ging ... Keiner von beiden hatte auch nur einen Finger krumm gemacht, um den Abtransport der Jungs zu verhindern. Warum nicht?
Zwei Leute wussten die Antwort. Als Erstes wählte ich die Nummer des Katholischen Krankenhauses, gab mich wieder als Siebling aus, was immer noch niemand in Zweifel zog. Der Zustand meiner Gattin, erfuhr ich, war unverändert komatös. Gerade jetzt stahl sich Yvonne Kerner aus der Verantwortung. Mir war danach, ins Krankenhaus zu fahren und sie mit ein paar Stromstößen aus dem Defibrillator zum Tanzen zu bringen.
Blieb Roland Siebling. Wenn ich den schon nicht zum Tanzen brachte, dann vielleicht zum Reden. Ich sprang in den Wagen, beschleunigte hart und geräuschvoll und somit auffällig aus dem Wohnpark Nord, stoppte aber schon an der Pizza-Bude wieder, stieg aus und schlug mich in die Büsche.
Drei Minuten später stand ich vor Sieblings Wohnungstür, ohne dass mich irgendjemand ins Haus hatte schleichen sehen, er am allerwenigsten. Kalt schmiegte sich das Brecheisen im Jackenärmel an meinen Unterarm. Ich wollte Siebling überraschen, und ich glaube, ich wollte ihm auch irgendeinen interessanten, nachhaltigen Schmerz zufügen. Das ließ mich zögern. Niemandem war damit gedient, wenn man mich wegen Körperverletzung drankriegte.
Ich zögerte also, direkt vor Sieblings Tür, durch die hindurch ich seine Stimme hören konnte. Er sprach mit jemandem, ohne dass der andere antwortete. Er telefonierte. Und ich lauschte.
Vergebens. Über dem Computerspiel-Radau aus dem Kinderzimmer war kaum auszumachen, was gesprochen wurde. Jetzt, wo die ewig kopfschmerzgeplagte Lebensgefährtin im Krankenhaus lag, konnte Siebling das Kampfgetöse endlich voll aufdrehen. Dann wurde der Lärm schlagartig leiser, und ich hörte Siebling „Okay“ sagen. „Mail ich Ihnen. Kann nur ein paar Minuten dauern. Muss mich noch abmelden.“ Abmelden?, rätselte ich und zog mich ins Treppenhaus zurück. Dann begriff ich: Siebling musste sich von seinen zotteligen Kumpels verabschieden, für einen Abstecher ins Offline-Leben.
Zurück im Gebüsch knackte ich mit dem Brecheisen den Zaun eines nahe gelegenen Bauhofs, schlüpfte durch den Maschendraht, suchte und fand eine ausziehbare Leiter, zerrte sie durch das Buschwerk, trug sie dicht an der Hauswand von Nr. 12 entlang bis unter das Kinderzimmerfenster und stellte sie auf. So leise wie möglich kraxelte ich hoch.
Siebling hatte einen neuen Bildschirm, viel größer als der alte, doch genau wie der quer zum Fenster aufgestellt. Ich hatte die Leiter so positioniert, dass ich rechts vom Fenster hochkam, also in Sieblings Rücken. Ich wollte unbemerkt einen Blick auf das werfen, was er zu mailen plante.
Ich musste zweimal hinsehen. Doch dann trieb ich das Brecheisen entschlossen in die Spalte des Fensterflügels und brach ihn auf. Siebling fuhr herum, Augen schreckgeweitet. Er versuchte noch, das Fenster wieder zuzuknallen, doch da hatte ich schon ein Bein über die Brüstung geschwungen und warf mich ins Zimmer. Das Foto auf dem Bildschirm schrumpfte schlagartig, bis es nur noch ein Punkt war, der dann auch verlöschte. Und der Monitor zeigte nur noch schwarz. Siebling hingegen war weiß wie die Wand. Von irgendwoher hatte er sich ein Billardqueue geschnappt, doch anstatt es übers Knie zu brechen und dann das dicke Ende zu schwingen, versuchte er, die gesamte Länge zu handhaben. Keine gute Idee in der Enge eines Kinderzimmers. Ich ging
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