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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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und schäumt in schrecklichen Strudeln ein kleiner Fluß, der Tausende von Jahrhunderten gebraucht zu haben scheint, um sich Bahn zu brechen. Man hat den Weg, um Unglücksfälle zu verhüten, mit einem Geländer eingefaßt; deshalb konnte ich in die Tiefe hinabblicken und mich nach Herzenslust schwindelig machen lassen; denn trotz meiner Vorliebe für schroffe Felsen werde ich wunderlicher Weise auf ihnen schwindelig, und gerade an diesem Gefühle des Schwindels habe ich große Freude, sobald ich mich dabei in Sicherheit befinde. Weit über das Geländer gelehnt, schaute ich in die Tiefe und blieb da ganze Stunden lang, indem ich von Zeit zu Zeit bald auf diesen Schaum, bald auf das blaue Wasser blickte, dessen Brausen ich durch das Geschrei der Raben und der Raubvögel vernahm, welche hundert Klafter unter mir von Fels zu Fels und von Gesträuch zu Gesträuch flogen. An den Stellen, wo der Abhang ziemlich gerade hinunter ging und das Strauchwerk weit genug auseinander stand, um Steine durchzulassen, trug ich deren so groß und schwer, wie ich sie nur haben konnte, von allen Seiten zusammen und häufte sie auf dem Geländer auf. Darauf warf ich sie einen nach dem andern hinab und ergötzte mich daran, sie rollen, aufspringen und in tausend Stücke zerschellen zu sehen, ehe sie noch den Boden des Abgrundes erreichten.
    Noch näher bei Chambery hatte ich ein ähnliches Schauspiel, wenn auch in umgekehrtem Sinne. Der Weg führt am Fuße des schönsten Wasserfalles vorüber, den meine Augen je gesehen. Der Berg hängt so weit herüber, daß das Wasser plötzlich in einem Bogen herabfällt, der weit genug von der Felsenwand entfernt ist, um zwischen dieser und dem Wasserfall hindurchschreiten zu können, oft sogar ohne daß man dabei naß wird; sieht man sich jedoch dabei nicht vor, so wird man leicht angeführt, wie es bei mir der Fall war; denn wegen der außerordentlichen Höhe löst sich das Wasser in eine Art Staubregen auf, und tritt man zu nahe an diese Wolke heran, ist man mit einem Male, ohne anfangs zu merken, daß man naß wird, vollkommen wie aus dem Wasser gezogen.
    Endlich komme ich an, sehe ich sie wieder! Sie war nicht allein. Der Herr General-Intendant war in dem Augenblicke, wo ich eintrat, bei ihr. Ohne mich anzureden, ergreift sie mich bei der Hand und stellt mich ihm mit jener Anmuth vor, welche ihr Zugang zu allen Herzen verschaffte. »Das ist er, mein Herr, dieser arme junge Mann; nehmen Sie ihn freundlichst so lange in Ihren Schutz, wie er ihn verdienen wird; ich bin dann für sein künftiges Wohlergehen nicht mehr in Sorgen.« Darauf sich an mich wendend, sagte sie: »Mein Kind, du gehörst jetzt dem Könige; dank dem Herrn Intendanten, der dir Brot gibt.« Ich riß die Augen weit auf, ohne ein Wort zu sagen oder zu wissen, was ich denken sollte; fast hätte der wieder erwachende Ehrgeiz mir von neuem den Kopf verdreht und den Muth eingeflößt, bereits den kleinen Intendanten zu spielen. Wie es sich zeigte, war die mir zugedachte Stelle keineswegs so glänzend, wie ich sie mir nach dieser ersten Mittheilung eingebildet hatte, gewährte mir indessen für den Augenblick den hinreichenden Lebensunterhalt, und für mich war dies viel. Es handelte sich nämlich um folgendes.
    Da der König Victor Amadeus aus dem Ausgange früherer Kriege und der Lage des Erblandes seiner Väter schloß, daß es ihm eines Tages geraubt werden könnte, ging er nur darauf aus, möglichst viel aus ihm herauszupressen. Entschlossen, den Adel zur Besteuerung heranzuziehen, hatte er vor wenigen Jahren eine allgemeine Katastrirung des ganzen Landes angeordnet, damit man bei einer Verwandlung des Zehnten in eine Abgabe in baarem Gelde letzteren mit größerer Billigkeit vertheilen könnte. Diese unter dem Vater begonnene Arbeit wurde unter dem Sohne vollendet. Zwei oder dreihundert Menschen, sowohl Feldmesser, die man Geometer, als auch Schreiber, die man Secretäre nannte, wurden bei dieser Arbeit verwandt, und unter letzteren hatte mir Mama eine Stelle verschafft. Ohne sehr einträglich zu sein, sicherte sie mir doch ein in diesem Lande reichliches Auskommen. Das Ueble war, daß dieses Amt nur auf eine bestimmte Zeit verliehen wurde; allein es setzte doch in den Stand zu suchen und abzuwarten, und Mama bemühte sich deshalb aus Vorsicht, mir die besondere Gunst des Intendanten zu gewinnen, um nach Ablauf meiner gegenwärtigen Stellung in eine geeignetere übertreten zu können.
    Wenige Tage nach meiner Ankunft trat ich mein

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