Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
Vom Netzwerk:
Mauer als Aussicht, eine Sackgasse als Straße, wenig Luft, wenig Licht, wenig Raum, Heimchen, Ratten, vermorschte Dielen, das alles bildete keine freundliche Wohnung. Allein ich war bei ihr, in ihrer Nähe; fortwährend auf meinem Bureau oder in ihrem Zimmer bemerkte ich wenig von der Häßlichkeit meines eigenen; ich hatte nicht Zeit, daran zu denken. Es wird seltsam scheinen, daß sie Chambery zu ihrem Aufenthalte gewählt hatte, lediglich um dieses häßliche Haus zu bewohnen; aber sogar hierin liegt ein Beweis ihrer Klugheit, den ich nicht verschweigen darf. Sie hatte eine große Abneigung dagegen, nach Turin zu gehen, da sie sehr gut einsah, daß es nach dem vor Kurzem erfolgten Umschwung der Dinge und bei der Aufregung, in welcher man sich noch immer bei Hofe befand, nicht der Augenblick war, sich an ihm vorzustellen. Trotzdem verlangten ihre Angelegenheiten, daß sie sich dort zeigte. Sie besorgte, vergessen oder benachtheiligt zu werden; namentlich hatte sie in Erfahrung gebracht, daß der Graf von Saint-Laurent, der Generalintendant der Finanzen, ihr nicht geneigt war. Nun besaß er in Chambery ein altes, baufälliges Haus, welches in einer so schlechten Gegend lag, daß es stets leer blieb; sie miethete es und machte sich dort ansässig. Das war ihr nützlicher, als eine Reise; die Pension wurde ihr nicht entzogen, und der Graf von Saint-Laurent war ihr seitdem stets freundlich gesinnt.
    Ich fand ihre Wirthschaft fast in dem nämlichen Zustande wie früher, und den treuen Claude Anet noch immer bei ihr. Er war, wie ich erwähnt zu haben glaube, ein Bauerbursche aus Moutru, der in jungen Jahren im Jura Kräuter gesammelt hatte, um Schweizer Thee zu machen, und den sie um seiner Kenntnisse willen in Dienst genommen hatte, da sie es bequem fand, in ihrem Diener zugleich einen Kräuterkenner zu besitzen. Er war ein so leidenschaftlicher Pflanzensammler, und sie stachelte seine Neigung so sehr an, daß er ein wirklicher Botaniker wurde, und sich, wäre er nicht jung gestorben, in dieser Wissenschaft einen Namen erworben haben würde, wie er einen unter den Ehrenmännern verdiente. Da er ernst, sogar verschlossen war, und ich jünger als er, so wurde er für mich eine Art Hofmeister, der mich vor vielen Thorheiten bewahrte; denn er flößte mir Achtung ein und ich wagte nicht, mich ihm gegenüber zu vergessen. Sogar seiner Herrin, die seinen gesunden Verstand, seine Redlichkeit, seine unwandelbare Anhänglichkeit an sie kannte und sie ihm durch gleiche Zuneigung vergalt, nöthigte er Achtung ab. Claude Anet war ohne Widerspruch ein seltener Mann und sogar der einzige seiner Art, den ich je kennen gelernt. Langsam, gesetzt, bedachtsam, von besonnener Klugheit, kaltem Benehmen, lakonischer und sentenzenreicher Sprechweise, besaß er in seinen Leidenschaften eine stürmische Heftigkeit, die er nie sichtbar werden ließ, sondern in sich zurückdrängte, und die ihn zwar nie in seinem Leben eine Thorheit, wohl aber eine furchtbare That begehen ließ, denn er hat sich vergiftet. Dieser tragische Auftritt ereignete sich kurz nach meiner Ankunft, und ohne ihn hätte ich das vertrauliche Verhältnis des jungen Mannes mit seiner Herrin gar nicht erfahren, denn hätte sie es mir nicht selbst gesagt, würde ich es nie vermuthet haben. Fürwahr, wenn Anhänglichkeit, Eifer und Treue einen solchen Lohn verdienen können, so war sie ihn ihm schuldig, und zum Beweise, wie würdig er desselben war, dient der Umstand, daß er ihn nie mißbrauchte. Sie hatten selten Zänkereien, und diese endeten stets gut. Eine entstand jedoch, die einen schlechten Ausgang nahm; im Zorne sagte ihm seine Herrin ein höchst beleidigendes Wort, das er nicht zu ertragen vermochte. Er gab nur seiner Verzweiflung Gehör, und da er eine Phiole mit Laudanum in Händen hatte, trank er sie aus und legte sich darauf, in dem Gedanken nie wieder zu erwachen, ruhig nieder. Glücklicherweise fand Frau von Warens, die selbst unruhig und aufgeregt, unstet im Hause umherirrte, die leere Phiole und ahnte das Uebrige. Zu seiner Hilfe herbeieilend, stieß sie ein Geschrei aus, welches mich herbeizog. Sie gestand mir alles, flehte mich um Beistand an und brachte es mit vieler Mühe dahin, daß er das Opium wieder ausbrach. Zeuge dieses Auftrittes, wunderte ich mich über meine Dummheit, nie die geringste Ahnung von der Verbindung gehabt zu haben, in die sie mich einweihte. Allein Claude Anet war so vorsichtig, daß sich auch Scharfsichtigere hätten täuschen können.

Weitere Kostenlose Bücher