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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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Amt an. Schwierig war die Arbeit nicht und ich war mit ihr bald völlig vertraut. So begann ich denn nach vier oder fünf Jahren eines unsteten Wanderlebens seit meinem Scheiden von Genf, reich an Thorheit und Leiden, mir zum ersten Male mein Brot auf ehrenhafte Weise zu verdienen.
    Diese langen Einzelheiten aus meiner frühsten Jugend werden sehr kindisch erschienen sein, und das thut mir leid; obgleich in gewisser Hinsicht als Mann geboren, bin ich doch lange Kind geblieben und bin es in vielen anderen Stücken noch. Ich habe nicht versprochen, den Lesern einen großen Charakter zu zeichnen; ich habe versprochen, mich so zu schildern, wie ich bin, und um mich in meinem vorgerückteren Alter zu kennen, muß man mich in meiner Jugend gekannt haben. Da die Gegenstände im Allgemeinen auf mich weniger Eindruck machen, als die Rückerinnerung an sie, und alle meine Vorstellungen die Form von Bildern annehmen, so sind die ersten Züge, welche sich meinem Geiste eingeprägt haben, in demselben haften geblieben, und die, welche später hinzugetreten sind, haben sie nicht etwa verwischt, sondern sich eher mit ihnen vereinigt. Es giebt eine gewisse Reihe von Stimmungen und Vorstellungen, welche die folgenden abschwächen, und die man kennen muß, um sich über letztere ein richtiges Urtheil zu bilden. Ich gebe mir Mühe, überall die ersten Ursachen klar zu entwickeln, um die Verkettung der Wirkungen zur Anschauung zu bringen. Ich wünschte meine Seele den Augen des Lesers gleichsam nackt und unverhüllt zu zeigen, und deshalb bestrebe ich mich, sie ihm unter allen Gesichtspunkten vorzuführen, ihm über sie Tag für Tag Klarheit zu verschaffen und ihm jede ihrer Regungen wahrnehmbar zu machen, damit er selbst über den ersten Grund, der sie hervorrief, zu urtheilen vermag.
    Wenn ich mich mit dem bloßen Ergebnis zufrieden gäbe und zu ihm sagte: »so ist mein Charakter,« so würde er wähnen können, wenn auch nicht gerade, daß ich ihn täusche, so doch wenigstens, daß ich mich täusche. Aber indem ich ihm in einfachster Weise alles, was mir begegnet ist, alles, was ich gethan, alles, was ich gedacht, alles, was ich empfunden habe, eingehend zergliedere, kann ich ihn nicht zum Irrthum verleiten, es wäre denn, daß ich absichtlich darauf ausginge, und selbst wenn ich das thäte, würde es mir auf diese Weise nicht leicht gelingen. Es bleibt ihm überlassen, diese Einzelheiten zusammenzustellen, und das Wesen, welches aus ihrer Zusammenfügung hervorgeht, zu bestimmen; das Resultat muß sein Werk sein, und täuscht er sich dann, so fällt aller Irrthum ihm zur Last. Zu diesem Zwecke genügt es indessen nicht, daß meine Mittheilungen treu sind, sie müssen auch eben so genau sein. Nicht mir liegt es ob, über die Wichtigkeit der Thatsachen zu urtheilen; ich muß sie alle aufführen und ihm die Sorge der Auswahl überlassen. Darauf habe ich bisher unerschrocken allen Fleiß verwandt und werde auch in der Folge darin nicht nachlassen. Aber die Erinnerungen des mittleren Lebensalters sind stets weniger lebhaft, als die der frühsten Jugend. Ich habe mir Mühe gegeben, aus letzteren den möglichst großen Nutzen zu ziehen. Wenn die andern wieder in gleicher Frische in mir erwachen, so werden ungeduldige Leser vielleicht Langeweile dabei empfinden, aber ich für meine Person werde um deswillen mit meiner Arbeit nicht unzufrieden sein. Ich habe bei diesem Unternehmen nur eins zu fürchten, nicht etwa zu viel oder die Unwahrheit zu sagen, sondern nicht alles zu sagen und wahre Dinge zu verschweigen.
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Viertes Buch
1732 – 1736
    Es war, wenn mir recht ist, im Jahre 1732, als ich, wie ich so eben berichtet, in Chambery anlangte und mein Amt beim Kataster in königlichen Diensten antrat. Ich war beinahe einundzwanzig Jahre alt. Für mein Alter war ich geistig ziemlich entwickelt, weniger jedoch meine Urtheilskraft, und es war nöthig, daß ich in Hände fiel, die mich richtig leiteten. Denn einige Jahre der Erfahrung hatten mich noch immer nicht von Grund aus von meinen romantischen Traumgebilden zu heilen vermocht, und trotz aller Leiden, die ich erduldet, kannte ich die Welt und die Menschen so wenig, als wenn ich noch kein Lehrgeld hätte bezahlen müssen.
    Ich wohnte für mich allein, das heißt bei Mama, aber ein Zimmer wie in Annecy fand ich nicht wieder; keinen Garten, keinen Bach, keine Landschaft. Das Haus, welches sie gemiethet, war finster und düster, und mein Zimmer das finsterste und düsterste im ganzen Hause. Eine

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