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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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gewöhnlich annimmt. Es giebt Berechnungen von einer ganz außerordentlichen Länge, bei denen ich auch tüchtige Geometer sich habe mitunter irren sehen. Die mit Uebung gepaarte Ueberlegung giebt deutliche Begriffe, und dann entdeckt man abgekürzte Methoden, deren Auffindung die Eigenliebe angenehm berührt, deren Richtigkeit den Geist befriedigt, und die bewirken, daß man an eine an sich undankbare Arbeit mit Lust und Liebe geht. Ich arbeitete mich so in die Arithmetik hinein, daß es keine durch Zahlen allein lösbare Aufgabe gab, die mich in Verlegenheit gesetzt hätte, und jetzt, wo alles, was ich gewußt habe, meinem Gedächtnisse täglich mehr entfällt, bin ich in dieser Wissenschaft noch theilweise zu Hause, obgleich ich sie schon dreißig Jahre nicht getrieben habe. Noch vor einigen Tagen habe ich, als ich auf einer Reise nach Davenport bei meinem Wirthe der Rechenstunde seiner Kinder beiwohnte, eines der verwickeltsten Exempel fehlerlos und mit unglaublichem Vergnügen ausgerechnet. Beim Aufschreiben meiner Zahlen war mir zu Muthe, als befände ich mich noch in meinen glücklichen Tagen zu Chambery. Das hieß einen weiten Umweg machen, um wieder zu meiner Erzählung zurück zu kommen!
    Das Austuschen der Karten unserer Geometer hatte auch in mir wieder die Lust zum Zeichnen erregt. Ich kaufte Farben und begann Blumen und Landschaften zu malen. Es ist Schade, daß ich wenig Talent für diese Kunst in mir entdeckte, da ich für sie schwärmte. Inmitten meiner Stifte und Pinsel hätte ich Monate lang zubringen können, ohne auszugehen. Da mich diese Beschäftigung allmählich vollkommen in Beschlag nahm, war man genöthigt, mich von ihr loszureißen. In gleicher Weise verhält es sich mit allen Neigungen, denen ich mich hinzugeben beginne; sie steigern sich, werden zur Leidenschaft, und bald sehe ich in der ganzen Welt nichts mehr als das Vergnügen, mit dem ich beschäftigt bin. Das Alter hat mich von diesem Fehler nicht geheilt, es hat ihn nicht einmal verringert, und jetzt, wo ich dieses schreibe, bin ich alter Schwätzer wieder in ein anderes unnützes Studium verliebt, von dem ich nichts verstehe, [Fußnote: Die Botanik.] und welches sogar diejenigen, die es von Jugend auf betreiben, in dem Alter, worin ich es beginnen will, aufgeben müssen.
    Damals wäre es an seinem Platze gewesen. Die Gelegenheit war schön; und ich fühlte mich versucht, sie zu benutzen. Die Befriedigung, welche aus Anets Augen strahlte, wenn er mit neuen Pflanzen beladen nach Hause zurückkehrte, hätte mich zwei- oder dreimal beinahe bewogen, ihn beim Botanisiren zu begleiten. Ich bin halb und halb überzeugt, daß, hätte ich es nur ein einziges Mal gethan, mich die Botanik völlig bezaubert hätte, und ich heut vielleicht ein großer Botaniker wäre; denn ich kenne kein Studium auf der Welt, welches mit meinen natürlichen Neigungen besser in Einklang steht, als das der Pflanzen, und das Leben, welches ich seit zehn Jahren auf dem Lande führe, ist eigentlich nichts als ein unausgesetztes Botanisiren, in Wahrheit ohne Zweck und ohne daß ich weiter komme; aber da ich damals durchaus keinen Begriff von dieser Wissenschaft hatte, erfüllte mich eine Art Verachtung und sogar Widerwillen gegen sie; ich betrachtete sie nur wie ein Studium für Apotheker. [Fußnote: Var ... ich betrachtete sie, wie alle Ignoranten, nur...] Mama, welche sie liebte, machte selbst keinen andren Gebrauch von ihr, sie ließ nur Nutzpflanzen sammeln, um sie zu ihren Mixturen zu verwenden. So dienten mir Botanik, Chemie und Anatomie, die in meinem Geiste alle in dem Namen Medicin aufgingen, nur den ganzen Tag lang zur Zielscheibe spöttischer Bemerkungen und dazu, mir von Zeit zu Zeit Ohrfeigen zuzuziehen. Uebrigens wurden in mir alle andere Neigungen bald durch eine sehr abweichende und zu entgegengesetzte überwuchert, die alle übrige verdrängte. Ich rede von der Musik. Ich muß gewiß für diese Kunst geboren sein, da ich sie schon als Kind zu lieben begann und sie die einzige ist, die ich zu allen Zeiten beharrlich liebte. Seltsamer Weise hat mir eine Kunst, für die ich geboren war, nichtsdestoweniger so viel Mühe gekostet und habe ich in ihr so langsame Fortschritte gemacht, daß ich es, nachdem ich sie mein ganzes Leben lang getrieben habe, nie dahin brachte, mit Sicherheit alles vom Blatt singen zu können. Was mir damals dieses Studium besonders angenehm machte, war, daß Mama daran Theil nehmen konnte. Obgleich unsere Neigungen sonst sehr

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