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Rousseau's Bekenntnisse

Rousseau's Bekenntnisse

Titel: Rousseau's Bekenntnisse Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Jacques Rousseau
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getrieben hätte, für welche ich, wie ich glaube, geboren bin, scheiterte in Folge eines jener unerwarteten Schicksalsschläge, welche auch die am klügsten berechneten Entwürfe zerstören. Ich war bestimmt, stufenweise ein Beispiel der menschlichen Leiden zu werden. Man sollte meinen, die Vorsehung, die mich zu solchen großen Prüfungen berief, hätte mit eigner Hand alles beseitigt, was mich mit hätte abhalten können, dieselben durchzumachen. Bei einem botanischen Ausfluge, den Anet nach dem Hochgebirge unternommen hatte, um Genipi, eine seltene Pflanze, die nur auf den Alpen wächst und die Herr Grossi brauchte, zu holen, erhitzte sich der arme Bursch dermaßen, daß er eine Brustfellentzündung bekam, von der ihn auch das Genipi nicht heilen konnte, obgleich es gerade das Hauptmittel gegen diese Krankheit sein soll. Trotz der Kunst Grossi's, der sicherlich ein sehr geschickter Arzt war, trotz Mamas und meiner treusten Pflege, starb er am fünften Tage nach schwerem Todeskampfe in unsern Armen. Ich allein hatte ihn zum Tode vorbereitet und mit ihm unter solchen Ausbrüchen des Schmerzes und mit solchem zuversichtlichen Glauben gebetet, daß ihm mein Zuspruch, wenn er ihn noch zu verstehen im Stande war, zum Troste gereichen mußte. So verlor ich den zuverlässigsten Freund, den ich in meinem ganzen Leben hatte, einen achtungswerthen und ausgezeichneten Menschen, in dem die natürliche Begabung die Erziehung ersetzte, der in seiner dienstlichen Stellung alle Tugenden großer Männer nährte, und dem, um als solcher von aller Welt erkannt zu werden, vielleicht nichts als ein längeres Leben und eine richtige Stellung fehlte. Am andern Tage redete ich mit Mama in der tiefsten und aufrichtigsten Trauer von ihm, und mitten im Gespräche kam mir plötzlich der schändliche und unwürdige Gedanke, daß ich ja der Erbe seiner Sachen und namentlich eines schönen schwarzen Anzuges wäre, der mir in die Augen gestochen hatte. Ich dachte es und sagte es folglich, denn bei ihr war das für mich eins. Nichts machte ihr den erlittenen Verlust fühlbarer als diese elende und schlechte Bemerkung, da Uneigennützigkeit und Seelenadel gerade zu seinen hervorragendsten Eigenschaften gehört hatten. Ohne mich einer Antwort zu würdigen, wandte sich die arme Frau nach der andern Seite und begann zu weinen. Theure und köstliche Thränen! Sie waren mir verständlich und strömten alle in mein Herz; sie reinigten es bis auf die letzte Spur von einer niedrigen und ehrlosen Gesinnung. Sie hat seit dieser Zeit nie wieder Eingang in dasselbe gefunden.
    Dieser Verlust bereitete Mama eben so viel Nachtheil wie Kummer. Von diesem Augenblick an hörten ihre Angelegenheiten nicht auf bergab zu gehen. Anet war ein genauer und ordentlicher Mensch gewesen, der auch im Hause seiner Herrin Ordnung hielt. Man fürchtete seine Wachsamkeit, und die Verschleuderung war geringer. Sie selbst fürchtete seinen Tadel und suchte ihre Neigung zur Verschwendung zu mäßigen. Seine Liebe genügte ihr nicht, sie wollte sich auch seine Achtung bewahren, und sie fürchtete den gerechten Vorwurf, den er ihr mitunter zu machen wagte, daß sie das Gut anderer eben so sehr verschwendete als ihr eigenes. Ich theilte seine Ansicht und sprach es sogar aus, aber ich hatte nicht denselben Einfluß auf sie und meine Reden wirkten nicht so nachhaltig auf sie wie die seinigen. Als er nicht mehr war, wurde ich gezwungen, seine Stellung einzunehmen, zu der ich eben so wenig Fähigkeit wie Luft besaß; ich füllte sie schlecht aus. Ich war wenig sorgsam und dabei zu schüchtern; während ich im Stillen schalt, ließ ich alles gehen, wie es gehen wollte. Uebrigens war mir wohl dasselbe Vertrauen zu Theil geworden, aber nicht dasselbe Ansehen. Ich bemerkte die Unordnung, ich seufzte und klagte darüber, wurde aber nicht angehört. Ich war noch zu jung und zu lebhaft, um das Recht zu haben, vernünftig zu sein, und wenn ich mich als Hausherr hineinmischen wollte, gab mir Mama kleine zärtliche Backenstreiche, nannte mich ihren kleinen Mentor und zwang mich, wieder in die Rolle zurückzufallen, die mir ziemte.
    Die entschiedene Ahnung der Noth, in welche ihre unvorsichtigen Ausgaben sie früher oder später stürzen mußten, machten einen um so stärkeren Eindruck auf mich, als ich jetzt in der Eigenschaft ihres Haushofmeisters mich selbst von der Ungleichheit zwischen ihrem Soll und Haben überzeugen konnte. Von dieser Zeit schreibe ich die Neigung zum Geiz her, welche ich

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